Maschinen- und Anlagenbau

Vollgas für die Energiewende

07.02.2024
Autor: Jörg Fischer

21 Jahre verankert im OM, über 640 Mitarbeitende und 89 eigene Biogas- und Biogasaufbereitungsanlagen in Deutschland und Europa – das ist ein Teil der Erfolgsgeschichte der EnviTec Biogas AG. Der aus Lohne und dem nordrhein-westfälischen Saerbeck agierende Biogas-Allrounder und sein Team überzeugen durch pragmatische Standorttreue, unternehmerische Weitsicht und die nötige Prise Innovationsbereitschaft. „Trotz der vielen Aufs und Abs in Deutschlands Energiepolitik stehen wir unseren Kunden weltweit an 15 Standorten, darunter auch China und die USA, mit Expertise bei Planung, Bau, Betrieb und Service von Biogasanlagen zur Seite“, sagt Olaf von Lehmden, Vorstandsvorsitzender und mit seiner Familie größter Anteilseigner der Unternehmensgruppe. 

Vorstand der EnviTec Biogas AG Olaf von Lehmden (CEO), Jörg Fischer (CFO) und Jürgen Tenbrink (CTO).

Das Auslandsengagement trägt den Biogas- Allrounder bereits seit Unternehmens­gründung. Nur vier Jahre nach Markteintritt ist EnviTec 2006 mit damals 192 Mitarbeitenden bereits auch in den Niederlanden aktiv. Schnell folgen Projekte in Tschechien, Italien und Ungarn. Mit der Fertigstellung des europaweit er­sten und größten Biogasanlagenpark mit 2,5 MWel in Anklam nur ein Jahr zuvor, war dann der Grundstein gelegt für weitere Großprojekte in Deutschland. EnviTec baut im Auftrag eines Kunden den seinerzeit weltgrößten Park in Penkun mit 20 MWel. 2007 geht es – neben dem Gang an die Börse – auch groß im Anlagenbau weiter. Allerdings nicht mehr nur ausschließlich mit Biogasanlagen. In Güstrow entsteht damals die weltweit größte Anlage zur Biogasaufbereitung und auch hier ist EnviTec Biogas mittendrin statt nur dabei. Bis heute.

Was damals als wichtiger Schritt hin zur ­Unabhängigkeit von importiertem Erdgas gefeiert wurde, ist aktuell wichtiger denn je. Die Übernahme des BioEnergie Parks Güstrow in 2021 und dessen Umbau und Inbetriebnahme in Deutschlands größte integrierte Bio-LNG Anlage heute bedeutet für den Anlagenbauer den Eintritt in ein neues, zukunftsweisendes Geschäftsfeld. Mit dem Investment von über 50 Mio. Euro in einen umfangreichen Umbau des Parks und in den Zubau der LNG- und Kohlendioxid-Verflüs­sigungstechnik fungiert damit erstmals ein Anlagenbauer auch als unabhängiger An­bieter von CO₂-neutralem Kraftstoff für den Nutz- und Schwerlastverkehr. 

Wer nun denkt, dass EnviTec damit nur die großen Player im Markt bedient, hat sich getäuscht. Dieser neue Markt schafft nicht nur dem Unternehmen eine Perspektive für alle Segmente, sondern bietet vor allem auch mittleren Anlagenbetreibern in Deutschland eine Chance, die eigene Anlage nach Auslaufen der EEG-Förderung als Hersteller des Grundstoffes Biomethan wirtschaftlich und vor allem im Sinne der Nachhaltigkeit sinnvoll weiterführen zu können. Biogas kann so zu Biomethan aufbereitet und in flüssiger (Bio-LNG) Form als klimafreundlicher Kraftstoff lokal genutzt werden.

Durch die dezentrale Bereitstellung von ­Bio-LNG werden die Transportwege des Kraftstoffs verkürzt und gleichsam die Transportkosten reduziert. Kleine Anlagenbetreiber können dabei ihr produziertes Biomethan in größeren Anlagen wie in Güstrow oder auch anderen zentralen Verflüssigungs­anlagen bilanziell zu LNG aufbereiten ­lassen.

Der Einsatz regional verfügbarer Substrate ermöglicht die Bereitstellung des Kraftstoffs aus der Region. Gegenüber anderen alternativen Antrieben ist Biomethan bereits heute erfolgreich im Einsatz, sofort in relevanten Mengen verfügbar und leistet damit einen aktiven Beitrag zur Verkehrswende. Fahrzeuge mit Bio-LNG -Antrieb ­sparen rund 90 Prozent an CO₂-Emissionen im Vergleich zu fossilen Diesel- und Benzinantrieben ein, setzen dabei circa 99 Prozent weniger Feinstaubpartikel frei, reduzieren den Ausstoß von Stickoxiden um circa 90 Prozent und emittieren weniger Lärm als ein vergleichbarer Dieselmotor.

 

 

Innovation Der Bioenergie Park Güstrow ist Deutschlands größte integrierte Bio-LNG-Anlage.

Fit für die Zukunft: Der BioEnergie Park Güstrow

Von 2009 bis 2021 speiste die 500 GWh ­starke Biogasaufbereitung in Güstrow ins 25-Bar-Erdgasnetz ein und verbrauchte dazu rund 400.000 Tonnen Substrat. Als Substrat wurden hauptsächlich Mais, daneben aber auch Ganzpflanzensilage, Getreide und Grassilage eingesetzt.

„Mit der Umwandlung des Betreiberkonzeptes konnten wir den Input auf 150.000 Tonnen pro Jahr fahren und betreiben die Anlage nun mit landwirtschaftlichen Reststoffen“, erklärt von Lehmden. Die Umrüstung schloss neue Rührwerke, Pumptechnik, zusätzliche Gärrestlager und Tragluftdächer ein. Letztere ermöglichen eine größtmögliche und gleichzeitig variable Gasspeicherkapazität. So kann Biogas zeitlich unabhängig vorgehalten und flexibel aufbereitet werden. 

Zur Biogasaufbereitung setzt EnviTec auf die seit Jahren bewährte patentierte SEPURAN® Green-Membrantechnologie von Evonik. Die Membranen bestehen dabei aus einem eigens von Evonik entwickelten Hochlei­stungskunststoff, der sehr druck- und ­temperaturbeständig ist. Das Gasauf­bereitungsverfahren EnviThan bereitet ­Rohbiogas, welches aus dem Energieträger Biomethan sowie Kohlendioxid besteht, ­einfach und effizient in hochreines ­Biomethan auf.

Im Vergleich mit anderen Biogasaufbereitungsverfahren benötigt EnviThan wenig Energie und kommt ­ohne jegliche Hilfsmittel oder Chemikalien aus. Es entstehen weder Abfälle noch Abwasser, die aufbereitet und entsorgt werden müssten.

Die Nachfrage nach den EnviThan-Anlagen hat mit der überarbeiteten Erneuerbare- Energien-Richtlinie der EU (RED II) Ende 2021 angezogen. „Mehr als 90 Prozent unserer Gasaufbereitungsanlagen gingen bislang in den Export, inzwischen ist aber die Nach­frage auch bei uns in Deutschland angestiegen“, so von Lehmden. Ein deutsches Vorzeigeprojekt in Sachen EnviThan-Gasauf­bereitungstechnologie ist derzeit im Erpro­bungsbetrieb: Die Biogas­aufbereitung der BioEnergie Güstrow verarbeitet hier inzwischen 100.000 Tonnen Hühnertrockenkot aus Geflügelanlagen und nur noch 40.000 Tonnen nachwachsende Rohstoffe zu ­hochreinem Bio-LNG.
 
Zudem wird das aus dem Biogas abgeschiedene Kohlendioxid (Bio-CO₂) ebenfalls ­verflüssigt und als natürlicher Rohstoff z.B. in der Lebensmittelherstellung, der Getränkeindustrie, aber auch in Gewächshäusern nutz- und speicherbar gemacht werden. 
„Die 20 Hektar große Anlage besteht daher aus der Biogasanlage, BHKW zur Eigen­strom­versorgung, der beschriebenen Gas­aufbereitung und diversen Gärrestlagern“, sagt Frank Hinken, Geschäftsführer der EnviTec Bioenergie Güstrow GmbH. Neben der EnviThan-Gasaufbereitung sind die Biomethan- und die CO₂-Verflüssigungsanlage die Herzstücke der Anlage. Mit 37,66 Meter Länge, 4,80 Meter Durchmesser und einem Gewicht von 130 Tonnen stellt der LNG-Tank einen wichtigen Bestandteil der deutschlandweit größten Biogasanlage zur integrierten Bio-LNG-Anlage dar. 

Das neue „Baby“ EnviTecs setzt ein starkes Signal pro Klimawende im Verkehrssektor und gegen die vorherrschende politisch einseitige Ausrichtung der E-Mobilität. „Angesichts der erneuten Verfehlung in der Umsetzung der Klimaziele ist es wichtig, sämtliche verfügbaren Optionen zu betrachten und eine möglichst breite Strategie zur Umsetzung der Herkulesaufgabe Klimawandel zu wählen und sich nicht von vorneherein zu beschränken“, so von Lehmden.

Diese Technologieoffenheit lebt EnviTec nicht nur nach außen, sondern auch nach innen. Hier ist vor allem der Eigenbetrieb des Unternehmens eine Innovations- und Ideenschmiede. Mit den bereits erwähnten 89 eigenen Anlagen mit 79,3 MW hat der Biogas-Allrounder die Möglichkeit, technische Innovationen und Verfahren an den eigenen Anlagen zu entwickeln und zu testen.

Nachwuchstalente für die Klimawende

Diese Bandbreite überzeugt auch viele Nachwuchstalente, die ihre Ausbildung oder ihr duales Studium bei EnviTec in ­Lohne oder Saerbeck zu absolvieren.

„Mit 14 Auszubildenden verzeichnen wir 2023 erstmals eine zweistellige Azubi-Zahl in unserem Unternehmen“, sagt Katrin Hackfort, zuständig für Unternehmenskommunikation und Personal bei EnviTec Biogas. Der starke Anstieg der Ausbildungsplätze resultiert aus der weiterhin hohen Nachfrage nach einer unabhängigen Energieversorgung und der damit einhergehenden Entwicklung des Marktes. „Dieser für uns positive Trend spiegelt sich auch in unserer hohen Zahl an Mitarbeitenden wider“, so Hackfort.

Allein 2023 hat das Unternehmen rund 90 neue Kolleginnen und Kollegen an Bord ­geholt. „Als Arbeitgeber im Bereich der ­Erneuerbaren Energien freut es uns, jungen Menschen an unseren beiden Standorten attraktive Arbeitsplätze in einem zukunftsfähigen Berufsfeld anbieten zu können“, sagt Olaf von Lehmden, der als CEO auch für den Personalbereich verantwortlich zeichnet: „Die Klimawende kann nur ge­mei­stert werden, wenn wir alle anpacken. Unsere Azubis als Nachwuchstalente in Sachen Nachhaltigkeit leisten dazu einen wertvollen Beitrag. Wir sind stolz, mit unserem Know-how made in Oldenburger Münsterland Zukunft zu schaffen. Wer mit anpacken möchte, ist bei uns herzlich willkommen!“

Effizient m Regelbetrieb wird der Bioenergie Park Güstrow rund 9.600 Tonnen Bio-LNG pro Jahr für einen grünen Schwerlastverkehr herstellen.