Revolution in der Rinderhaltung
Aus der Zwei-Klassen-Gesellschaft von Leihmüttern und Luxustieren gehen nur reinrassige Wagyus hervor. Ein schwarzes Tier mit weißer Blässe ist die Ausnahme. „Ein Unfall", kommentiert der Altbauer. Auch sonst lässt sich trotz strategischer Zuchtplanung und Fertilitäts-Management nicht alles steuern. „Der richtige Zeitpunkt ist elementar", erklärt Karl-Heinz Looschen. Als eine Wagyu-Dame durchdringend brüllt und auf die Nachbarin steigt, zieht der Senior sein Smartphone aus der Arbeitshose und notiert den Status: „Die ist brünstig." Nächste Woche wird der „Techniker" ihre Embryonen vorbereiten.
Für Karl-Heinz Looschen, eigentlich längst in Rente, bedeuten die Wagyus eine Revolution in der Rinderhaltung. Lange hat er auf dem Hof, der seit mindestens 300 Jahren in Familienbesitz ist, die übliche Turbo-Mast betrieben: „Mais und Kraftfutter volle Pulle, dann waren die Tiere schnell wieder weg." Sein Betrieb war Teil einer hochspezialisierten Kette, erinnert sich der 64-Jährige: „Die Kälber kamen mit sechs Monaten auf den Hof, spätestens nach einem Jahr waren sie im Schlachthof." Inzwischen sind die alten dunklen Ställe mit Spaltbohlen luftigen Neubauten gewichen, statt drei ist der offene Stall jetzt zehn Meter tief. Es gibt mehr Auslauf als in manchem Biobetrieb. Ein Laster karrt Pflastersteine für die nächsten Hallen an – es wird weiter gebaut.
Gewicht der Rinder interessiert nicht
Die alten Maxime der Mast musste Karl-Heinz Looschen über Bord werfen: „Früher ging es nur darum, wie viel Gewicht die Rinder täglich zunehmen – das interessiert uns nicht mehr." Andere Landwirte schütteln darüber den Kopf. Wagyus müssen mindestens tausend Tage alt werden. Die Rinder sollen langsam wachsen, Stiere werden deshalb kastriert. Ansonsten leide die Fleischqualität. Statt Sojaschrot und Mais fressen die Rinder Heu, Stroh und Biertreber. Kraftfutter gibt es erst in den letzten 200 Tagen vor der Schlachtung. Eine eigene gentechnikfreie Mischung aus Getreideschrot, Stroh, Raps, Gerste, Futterrübe. „Wir wollen höchste Zartheit", sagt Michael Looschen. Dafür sorgen die vielen Fettäderchen, die das Wagyu-Fleisch so charakteristisch marmoriert aussehen lassen.
Den Hof wie gehabt weiter zu bewirtschaften war für die drei Söhne ausgeschlossen: „Bullenmast lohnt sich nicht." Alle verfolgten zunächst andere Karrieren. Mit dem Wagyu-Großprojekt kamen der erfahrene Senior und der kühn planende Nachwuchs dann doch zusammen. „Wir haben uns zurechtgerieben", erzählt Michael Looschen. Sein Vater nickt: „Das war eine Vollbremsung." Auch wenn auf dem Hof jetzt vieles anders läuft: Der Senior wirkt nicht, als trauere er alten Zeiten nach.
Wagyu-Beef im Burger
„Ich hätte das Wagyu-Projekt auf jeden Fall gemacht", sagt Michael Looschen. Wenn nicht auf dem Hof der Familie, dann anderswo. Die Idee hatte er aus einem Fachmagazin. Zwei Jahre diskutierte die Familie über das Wagnis. 2010 flog Michael, der jüngste Sohn, nach Japan. Im Bezirk Kobe schaute er sich die Zucht der teuren Rinder an. Bei einer Rundreise durch Ostdeutschland informierte er sich über die Rinderhaltung im großen Stil. Und in Australien, wo es etwa eine Viertelmillion reinrassige Fullblood-Tiere gibt, sah er die großen Herden. Wagyu-Beef landet in Down under sogar zwischen zwei Brötchenhälften – als Premium-Burger.
In Deutschland ist man von den australischen Viehbeständen noch weit entfernt. Auch wenn der Verband für die Wagyu-Zucht hierzulande rund 150 Mitglieder zählt, gibt es neben der Herde in Garrel nur zwei weitere große, je eine in Schleswig-Holstein und in Bayern. Wer die Delikatesse hierzulande bestellt, bekommt meist Tiefkühlware aus Übersee auf den Teller. Die Konkurrenz ist also überschaubar. Aber was passiert, wenn das saftige Wagyu-Steak bei den Gourmets aus der Mode kommen sollte? „Der Preis muss sich anpassen", sagt Michael Looschen nüchtern. „Wir haben ein unternehmerisches Risiko wie jedes andere Startup." Und hat die Familie angesichts des kostbaren Bestands keine Angst vor Viehdieben? Der Senior weist auf die Kameras an der Stalldecke. Und der Hof liegt günstig – in einer Sackgasse.
Expansion dank Partnerbetrieben
Stocken die Looschens ihren Viehbestand wie geplant auf, reichen die 28 Hektar des Hofs und die 30 Hektar gepachtetes Grünland fürs Heu nicht aus. Schon jetzt setzten sie auf Partnerbetriebe. Dennoch soll von der Zucht bis zur Schlachtung alles auf dem eigenen Hof bleiben: „Wir begleiten die Tiere komplett." Auch die Vermarktung will Michael Looschen selbst übernehmen, eines Tages vielleicht sogar in einem eigenen Restaurant auf dem Hof. „Ich bin von Anfang bis Ende dabei und für alles verantwortlich." Das schätzt der Marketingprofi an seinem Rinderprojekt, das mit Liebhaberei nichts zu tun habe. Die „Wagyu Auetal GbR" ist ein kühl kalkuliertes Unternehmen mit Business- und Finanzplan. Irgendwann könnte es eine Alternative zum gut bezahlten Bürojob mit Meetings und Terminhetze sein. Dann arbeitet Looschen dort, wo er aufgewachsen ist, kann die Ruhe genießen und von seinen Rindern gut leben. Für gutes Essen ist ohnehin gesorgt – Michael Looschen mag Wagyu am liebsten als Ribeye vom Grill.