Lebenswelt

Land mit Aussicht

Autor*in: WOLFGANG STELLJES

Der Tourismus im Oldenburger Münsterland boomt. In den vergangenen Jahren neu aufgestellt, wartet der Sektor mit ausgesprochen positiven Kennzahlen auf. Eine Zwischenbilanz.

Der starke Zustrom von Touristen – gerade auch aus Deutschland – kann unter anderem auf das gute Radwege-Leitsystem zurückgeführt werden.   

Dass das Oldenburger Münsterland in landes- und bundesweiten Rankings bei der demografischen Entwicklung, beim Bruttoinlandsprodukt oder den sozialversicherungspflichtigen Jobs Spitzenpositionen belegt, ist nicht unbedingt eine neue Erkenntnis. In den Landkreisen Cloppenburg und Vechta „ist die dörfliche Welt demografisch und wirtschaftlich noch in Ordnung", heißt es beispielsweise im jüngsten Bericht zur „Demografischen Lage der Nation" (April 2019), herausgegeben vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Institutsdirektor Reiner Klingholz bezeichnete die Region in der „Welt am Sonntag" als „Land mit Aussicht" und nannte zwei zentrale Erfolgsfaktoren: den hohen gesellschaftlichen Zusammenhalt – mehr als 80 Prozent der Menschen sind in Vereinen, Verbänden und Kirchen aktiv – und das enge Netz mittelständischer Firmen, die „immer neue Arbeitsplätze" schaffen. Die Landkreise Cloppenburg und Vechta zählen für das Institut eindeutig „zu den demografischen Gewinnern". Und das wird nach den Prognosen der Forscher auch noch eine ganze Weile so bleiben.

Im OM finden sich hochzufriedene Gäste.   

Dickes Plus

Neu hingegen ist, dass auch der Tourismus seit einigen Jahren ausgesprochen positive Zahlen schreibt, dass sich also die Attraktivität der Region offenbar auch unter Urlaubern und Geschäftsreisenden herumgesprochen hat. Fachleute schauen dabei vor allem auf zwei Zahlen: die der Gäste und die der Übernachtungen. Im Oldenburger Münsterland gibt es – Stand 2019 – 138 Beherbergungsbetriebe unterschiedlichster Art, vom Hotel bis zur Jugendherberge. Nimmt man nur die Häuser mit mindestens zehn Schlafgelegenheiten, so kommt man auf 8.117 Betten. Und in denen nächtigten 2018 insgesamt 315.335 Gäste. Zusammen brachten sie es auf 832.456 Übernachtungen. 450.468 davon entfielen auf den Landkreis Cloppenburg, 381.988 auf den Landkreis Vechta.

Nackte Zahlen. Folgt man Torsten Kirstges, Studiengangsleiter für Tourismuswirtschaft an der Jade-Hochschule in Wilhelmshaven, dann stellt sich die Situation sogar noch positiver dar. Kirstges verweist darauf, dass in der Zahl der Übernachtungen „die ganzen kleinen Privatvermieter noch nicht enthalten sind", also Betreibe mit weniger als zehn Betten. Und auch die „Sofa-Touristen" nicht, also Reisende, die privat unterkommen. „Es sind sicherlich wesentlich mehr Übernachtungen." Nimmt man vergleichbare Studien, „dann ist das eine Größenordnung von 30 bis 50 Prozent on top." So gesehen knackt das Oldenburger Münsterland also locker die Millionengrenze.

Durch vielfältige Angebote in unseren Erholungsgebieten, wird selbst der kürzeste Urlaub zum Vergnügen.   

Tendenz steigend

Natürlich ist das Oldenburger Münsterland keine Tourismus-Destination im klassischen Sinne. Die Region ist eine von insgesamt 13 „Vermarktungsregionen" in Niedersachsen. Nordsee, Ostfriesische Inseln, Lüneburger Heide oder Harz können mit ganz anderen Zahlen aufwarten. Entscheidend für die hiesigen Tourismus-Verantwortlichen ist die Tendenz. Betrachtet man die vergangenen fünf Jahre, also den Zeitraum von 2014 bis 2018, so stieg im Oldenburger Münsterland die Zahl der Gäste um 17,5 Prozent und die der Übernachtungen um 22,4 Prozent. Zum Vergleich: Landesweit lag der Zuwachs bei 11,2 und 15 Prozent. Mit anderen Worten: Das Oldenburger Münsterland verzeichnete bei den beiden entscheidenden Kennzahl einen weit überdurchschnittlichen Anstieg. Mehr noch: Während die positive Entwicklung in anderen „Top-Reisegebieten" wieder nachließ, „startete das Oldenburger Münsterland gerade in den letzten drei Jahren durch", heißt es im „Sparkassen-Tourismusbarometer Niedersachsen" (Jahresbericht 2019). Nur mit Blick auf die Aufenthaltsdauer hinkt die Region leicht hinterher. Niedersachsenweit blieben die Gäste im Schnitt 3 Tage, im Oldenburger Münsterland 2,6 Tage. Immerhin: Das Oldenburger Münsterland holt auch hier langsam, aber stetig auf. Gerade bei der Aufenthaltsdauer zeigen sich mehr als nur feine Unterschiede: So bleibt der durchschnittliche Hotelgast 1,7 Tage, der Besucher von Ferienwohnung oder Ferienhaus aber 5,3 Tage. Mal dürfte es sich eher um Geschäftsreisende handeln, mal eher um Erholungssuchende.

Das Gros der Gäste kommt seit eh und je aus Nordrhein-Westfalen: 2014 lag ihr Anteil bei 57 Prozent. Platz zwei belegten die Gäste aus Niedersachsen mit 21 Prozent. Aus diesen beiden Bundesländern kommen also fast vier von fünf Gästen. Aus dem Ausland reist etwa jeder sechste Gast an, wobei die Niederländer die absolute Mehrheit stellen (52,8 Prozent).

Entschleunigen in den Haseauen.   

Zeit für Natur und Familie

Für Jan Kreienborg, den Geschäftsführer des Verbundes Oldenburger Münsterland, kommen die positiven Zahlen nicht überraschend. Den starken Zustrom von Touristen gerade auch aus Deutschland führt er unter anderem auf die zentrale Lage und das gute Radwege-Leitsystem zurück. „Die Urlauber erkunden den ländlichen Raum, um ein bisschen das Tempo rauszunehmen. Sie wollen in der Natur entschleunigen, Zeit mit dem Partner oder der Familien verbringen. Dazu bieten sich Radfahren oder Wandern natürlich an", sagt Kreienborg und benennt damit Punkte, die auch die Einheimischen zu schätzen wissen.

Torsten Kirstges untermauert diese Einschätzung. Der Touristik-Professor hat die „Reiseanalyse" ausgewertet, eine Studie zum Reiseverhalten der Deutschen. In der ist das Oldenburger Münsterland zwar nicht explizit ausgewiesen, wohl aber das „niedersächsische Binnenland", also die touristisch weniger frequentierten Regionen abseits von Nordsee, Harz und Heide, zu denen auch das Oldenburger Münsterland zählt. Wer die Erholungsgebiete Barßel & Saterland, Dammer Berge, Hasetal, Thülsfelder Talsperre und die Ausflugsregion Nordkreis Vechta besucht, der will, so Kirstges, „entspannen, keinen Stress haben, sich ausruhen. Auch Natur erleben ist ein wichtiger Grund."

Positives Image, negative Effekte

Kirstges ist mit den besonderen Gegebenheiten in der Region vertraut. Bereits 2014 hat er eine „Bekanntheits-, Image- und Markenstudie für das Oldenburger Münsterland" vorgelegt. Der konnte man unter anderem entnehmen, dass das Oldenburger Münsterland „in vielen Dimensionen ein sehr positives Image" genießt. Zugleich heißt es aber auch an anderer Stelle: „Negative Effekte der Massentierhaltung und der agrarischen Monokultur auf das Image sind nicht zu leugnen." Wiederholt findet sich in der Studie der Hinweis auf „einen deutlichen Zielkonflikt zwischen landwirtschaftlicher und touristischer Orientierung" der Region.

Jan Kreienborg weiß um diesen Zielkonflikt – und die Schwierigkeit, ihn zu lösen. Ohne die Dinge schönreden zu wollen, würde sich Kreienborg eine differenziertere Berichterstattung über das Oldenburger Münsterland wünschen. „Leider wurden überregional fast ausschließlich die kritischen Themen bespielt. Das Positive – ob es die Lebensqualität ist, die Wirtschaftskraft oder die Bildungs- und Familienangebote – fällt leider oft ein bisschen hinten runter."

Urlauber erkunden den ländlichen Raum im Oldenburger Münsterland. Dazu bietet sich Wandern und Radfahren besonders an.   

Das neue Gewand

Mit Blick auf das Logo und die generelle Entwicklung der Marke „Oldenburger Münsterland" empfahl Kirstges in seiner Imagestudie eine Neuausrichtung. Die praktische Umsetzung wurde in die Hände der Oldenburger Agentur „Stockwerk 2" gelegt. Gemeinsam mit regionalen Akteuren entwickelte sie eine neue Markenstrategie. Seit Herbst 2017 wirbt die Region mit einem neuen Logo und dem Slogan „Viel Grün. Viel drauf".

Das neue Logo wird zwar noch nicht „flächendeckend", aber doch „mehr und mehr" genutzt, so der Eindruck von Kirstges. Ein einheitlicher Außenauftritt ist für ihn unabdingbar. „Es macht wenig Sinn, wenn ein einzelner Hotelier oder Betreiber versucht, eine eigene Marke zu werden." Erfolgversprechender ist es, „sich als Region insgesamt zu positionieren". Denn der Tourist „schaut erstmal großräumig", vor allem, wenn er nicht aus der Nähe kommt. Ist sein Interesse für die Region geweckt, dann sieht sich der Gast die einzelnen Erholungsgebiete oder Übernachtungsbetriebe genauer an. Insgesamt sieht Kirstges noch Handlungsbedarf. „Das Konzept muss konsequent und durchgängig umgesetzt werden. Man muss also wirklich die einzelnen Leistungsträger in der Region dafür gewinnen."

Noch ist dieser Prozess nicht abgeschlossen. „Wir sind mittendrin in der Neuausrichtung", sagt Jan Kreienborg. Das Logo ist neu, der gemeinsame Veranstaltungskalender ebenfalls, und auch die Printmedien und Webseiten werden angepasst. „Wir wachsen ein Stück weit mehr zusammen. Das Ziel ist, dass wir an einem Strang ziehen. Und dass wir sichtbarer werden." Und damit, so die Hoffnung, auch bekannter. Denn gerade was die Bekanntheit der Region und – damit verbunden – die Besuchsbereitschaft betrifft, gibt es noch Luft nach oben. Gleiches gilt für die Auslastung der Übernachtungsbetriebe. Zwar verzeichnete das Oldenburger Münsterland im vergangenen Jahr auch hier ein Plus von 2,8 Prozent, eine höhere Quote bleibt jedoch das Ziel der Touristiker.

Branche mit Breitenwirkung

Der Landkreis Vechta ließ 2016 den „Wirtschaftsfaktor Tourismus" von einer externen Agentur unter die Lupe nehmen. Danach gaben Gäste, die in gewerblichen Betrieben in der Ausflugsregion Nordkreis Vechta und im Erholungsgebietes Dammer Berge übernachten, am Tag 107,90 Euro aus. Sparsamer waren Camper und Wohnmobilisten mit Ausgaben von rund 55 Euro pro Tag. Tagesausflügler – sie stellten die mit Abstand größte Gruppe – ließen durchschnittlich noch 25,90 Euro im Landkreis.

Insgesamt ermittelt die Agentur einen Bruttoumsatz von 129,44 Millionen Euro und eine Wertschöpfung von knapp 61 Millionen Euro – das entspricht „etwa 2.320 Personen, deren Einkommen durch Tourismus bestritten wird" sowie einer jährlichen Steuereinnahme der Kommunen zwischen 2,3 und 2,9 Millionen Euro.

Ähnliche Effekte hat auch Maria Oloew ausgemacht, sowohl mit Blick auf „ortsgebundene Arbeitsplätze" – nicht zuletzt für Frauen – als auch auf das Steueraufkommen. Die Geschäftsführerin des Zweckverbandes Erholungsgebiet Thülsfelder Talsperre unterstreicht: „Tourismus schafft und verbessert die lokale Infrastruktur für Einheimische und Gäste". Als Beispiel nennt sie das „Radverkehrsleitsystem, das von beiden Zielgruppen intensiv genutzt wird".

Jan Kreienborg hat bei seinen Aktivitäten noch eine dritte Zielgruppe im Auge: die viel umworbenen Fachkräfte. „Gerade jüngere Leute achten darauf: Was kann ich in einer Region machen, was kann ich unternehmen, wie kann ich dort leben?

Da muss nicht nur die Stelle oder der Job passen, sondern auch das Drumherum." Dass der Tourismus „ein bedeutender Wirtschaftsfaktor für die Region und eine Querschnittsbranche mit Breitenwirkung" ist, hatte bereits 2014 Torsten Kirstges in seiner Imagestudie festgestellt. „Neben den klassischen Anbietern touristischer Kernleistungen profitieren zahlreiche weitere Branchen direkt und indirekt von den Ausgaben der Touristen."

Ob ein Gast wiederkommt, hängt entscheidend von der Qualität der Angebote ab. Das Oldenburger Münsterland ist im landesweiten Vergleich Spitzenreiter bei der Gästezufriedenheit.   

Hochzufriedene Gäste

In einem Punkt sind sich alle Akteure einig: Am Ende ist es vor allem das Produkt, das überzeugen muss. Ob ein Gast wiederkommt oder nicht, ob er vielleicht sogar unter Freunden oder in der Familie ein freundliches Wort über die Region verliert, das hängt entscheidend von der Qualität der Angebote ab. Gemessen wird die Gästezufriedenheit in sogenannten Score-Punkten.

Auf einer Skala von 0 bis 100 Punkte erreicht das Oldenburger Münsterland im vergangenen Jahr über 86 Punkte (Deutschland 83,5, Niedersachsen 82,8). Damit ist das Oldenburger Münsterland landesweit „Spitzenreiter", nachzulesen im „Sparkassen-Tourismusbarometer Niedersachsen" (Jahresbericht 2019). Im bundesweiten Ranking liegt die Region auf Platz 14. In puncto Service gelang der Region der Sprung in die Deutschland-Top-10. Bestnoten verdient sich das Oldenburger Münsterland außerdem beim Preisniveau. Hier liegt die Region in Niedersachsen ebenfalls auf Platz 1.

Die positiven Gästebeurteilungen könnten sich langfristig in erneut steigenden Gästezahlen niederschlagen. Denn die Mund-zu-Mund-Propaganda, also die persönliche Empfehlung, ist neben dem Internet immer noch die wichtigste Informationsquelle.

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