Fuldamobil

Auf drei Rädern zur Autostadt

01.01.2024

Tausende pilgerten am 17. April 1955 nach Lohne, um das neue Fuldamobilwerk zu besichtigen. Nichts Geringeres als die Keimzelle zur „Autostadt“ sollte es sein. Eine Hoffnung, die nur kurz währte. Wir blicken zurück.

Das Fuldamobil im Industriemuseum Lohne ist eine Leihgabe. Der einst heruntergekommene Wagen wurde liebevoll restauriert und viele Jahre bei Autoausfahrten gezeigt. Probesitzen und Fahrten sind leider nicht möglich.

Der damalige Bundesarbeitsminister Anton Storch, eine große Anzahl prominenter Gäste und sogar Radio Bremen mit einem Übertragungswagen waren zur Stelle, als 1955 mit einer großen Korsofahrt das Fuldamobilwerk in Lohne feierlich eingeweiht wurde. Es herrschte Hochstimmung. Obwohl, oder vielleicht gerade weil das „Projekt Autostadt“ in der Planungsphase die ein oder andere unerwartete Wendung durchlaufen hatte.

„Entballung des westdeutschen Industrieraumes“ und „Arbeit zu den Menschen bringen und nicht umgekehrt“ – so lauteten die Schlagworte der 1960er Jahre in den ländlichen Regionen Deutschlands. Überall machten sich Stadtväter Gedanken, wie sie die Abwanderung ihrer Bevölkerung etwa ins Ruhrgebiet aufhalten könnten. Das Ziel in Lohne: Arbeitsplätze durch Industrieansiedlung. Der Weg sollte über Wilhelmshaven führen. Das dortige Industrieunternehmen „Nordwestdeutscher Fahrzeugbau“ (NFW) war in kurzer Zeit zum zweitgrößten Karosseriewerk Norddeutschlands aufgestiegen. Stark auf Bestellungen der Besatzungsmächte angewiesen, plante man mit der Produktion von Kleinmotoren ein zweites Standbein aufzubauen. Und zwar außerhalb von Wilhelmshaven. Eine Chance.

Mut und Hoffnung überwiegen

Bald ist in der Presse von der Neugründung der Allmay Motorenwerke in Lohne zu lesen. Der Bau einer großen Industriehalle für den Bau von „Motoren für Zweiradfahrzeuge“ wird angekündigt. Und beschäftigt fortan den örtlichen Stadtrat: Soll die Stadt die Halle bauen und sie dem Werk überlassen? Gibt es andere Wege? „Schließlich siegte der Mut, denn groß war die Hoffnung, mit dem Werk die so dringend benötigten Arbeitsplätze in Lohne zu schaffen“, erklärt Benno Dräger. Er ist ehrenamtlicher Museumsleiter des Industriemuseums Lohne, Vorsitzender des Trägervereins und ausgewiesener Kenner der Materie. „Es wurde eine Grundschuld zu Gunsten der Stadt eingetragen, im Gegenzug war der Sitz der Firma in Lohne und auch die Arbeitskräfte sollten – soweit für den Betriebsgang vertretbar – aus Lohne kommen.“ Hoffnungsvoll starten 20 Lehrlinge ihre einjährige Grundschulung im Metallwerk an der Gewerblichen Kreisberufsschule. Dann aber: Funkstille aus Wilhelmshaven.

Während die Presse noch rätselt, wann es mit der Produktion in Lohne losgehe, kommt es zur faustdicken Überraschung. NFW disponiert um und verlagert die erfolgreich angelaufene Produktion des Fuldamobils von Wilhelmshaven nach Lohne. „Woran die Produktion von Kleinmotoren in Lohne gescheitert ist, bleibt bis heute im Dunklen“, erklärt Benno Dräger. Es gäbe aber Vermutungen, dass die – betriebswirtschaftlich unsinnige – Entscheidung der Verlagerung mit Landeskrediten zusammenhing. Den Lohnerinnen und Lohnern bleibt damals nichts anderes, als sich darauf einzulassen. Lohne ist Autostadt. Der Produktionsstart wird fulminant gefeiert, das erste Fahrzeug erhält Pfarrer Wilhelm Bitter von der katholischen Pfarrgemeinde als Geschenk. Doch die Freude währt nur kurz.

Das Ende kommt schnell

So euphorisch der Start, so jäh das Ende der Autoproduktion im Oldenburger Münsterland. Die Absatzzahlen brechen ein, es gibt viele Reklamationen, das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt nicht. „In den hoffnungsvoll errichteten Hallen wurde zwischenzeitig sogar Fußball gespielt“, hat Benno Dräger bei seinen Recherchen erfahren. Knapp sechs Monate nach Anlauf heißt es im Oktober 1955: „Produktion eingestellt“. Ein bitterer Tag für Lohne. Zumal mit dem Beginn der Volksmotorisierung der Trend zum Autokauf zugenommen hat. Erst 701 Fuldamobile wurden bis dahin in Lohne gebaut. Die meisten davon wurden per Bahn gen Finnland und Schweden exportiert. An anderen Standorten wird zunächst noch weiterproduziert. Schnell zeigt sich aber, dass andere Konzepte die Nase vorn haben. Isetta, Goggomobil, der Messerschmidt Kabinenroller oder auch der Lloyd-LP 400 lassen das Fuldamobil auf der Strecke. Insgesamt werden in den deutschen Lizenzwerken nur etwa 3.000 Exemplare gebaut, weitere 10.000 in Produktionsstätten weltweit.

„Immer, wenn eine Leitbranche in die Krise kam, waren mutige Unternehmer und eine engagierte Arbeiterschaft in der Lage, für eine auslaufende Branche eine andere Leitbranche zu kreieren und somit Arbeitsplätze und bescheidenen Wohlstand zu erhalten“, ordnet Benno Dräger die Folgen für Lohne ein. Die Eigenschaft, sich für Innovationen auch vom wirtschaftlichen Risiko nicht abhalten zu lassen, habe heute sogar eine eigene Bezeichnung: „Lohner Wind“. Wenn der weht, ist Transformation nicht weit. So folgte auf die Schreibfedernindustrie die Tabakverarbeitung, wurde Lohne später für die Korkverarbeitung bekannt. Zeitweise kam jeder zweite deutsche Flaschenkorken aus Lohne. Heute schätzt internationale Kundschaft die hiesige florierende Maschinenproduktion und natürlich die Kunststoffindustrie.

Ein Star im Museum

Auch wenn die Episode der Fuldamobilfabrikation kurz war, hat sie sich doch ins kollektive Gedächtnis der Stadt eingeprägt. „Viele Menschen haben im Werk gearbeitet und bei Gesprächen mit der Verwandtschaft, Nachbarschaft und in den Vereinen ihr Wissen weitergetragen“, erklärt Benno Dräger. Und auch für die jüngere Generation sei das knallrote Exponat im Museum immer wieder spannend. „Da ist nicht nur die Neugierde, warum Lohne nicht Autostadt geworden ist, sondern das Interesse, wie es mit dem Fabrikgelände weitergegangen ist.“ So ist die Ausstellungsnische Fuldamobil im ersten Obergeschoss gerne Station bei Führungen. Dort erfährt man etwa, dass auch die Nachfolgefirma „Siekmann“ (Rohrbogenwerk) bereits Geschichte ist und dass heute auf dem ehemaligen Fabrikgelände Kunststoff hergestellt wird. „Besonders auswärtige Besucherinnen und Besucher bleiben am Fuldamobil hängen und sind überrascht über die wechselvolle Geschichte Lohnes.“

„Immer, wenn eine Leitbranche in die Krise kam, waren mutige Unternehmer und eine engagierte Arbeiterschaft in Lohne in der Lage, eine andere Leitbranche zu kreieren.“ Benno Dräger

Auch wenn Lohne mit dem Fuldamobil nicht Autostadt geworden ist: Die Stadt hat sich damals schnell von dem Rückschlag erholen können. Dank heimischer Industriegründungen und der Erweiterung bestehender Betriebe trägt Lohne seit 1955 stolz den Titel „Stadt der Spezialindustrien“ – auf den „Lohner Wind“ ist immer wieder Verlass.

Steckbrief NFW 200

  • Offizielle Bezeichnung: NFW 200
  • Spitzname: Fuldamobil, Cellokasten, Ei
  • Sitzraum für zwei Erwachsene und ein Kind
  • Einzylinder-Zweitaktmotor (ILO), luftgekühlt, 9 PS, Verbrauch ca. 4 Liter auf 100 km
  • Höchstgeschwindigkeit 75 km/h
  • Dreigang-Klauenschaltung mit Rückwärtsgang, Kettenantrieb (geschützt) auf Hinterrad, Zahnstangenlenkung der Vorderräder
  • mechanische Fuß- und Handbremsen (Seilzug vorn)
  • Radstand 184 cm, Spurweite 120 cm, Breite 148 cm, Länge 310 cm
  • Holzrahmengestell aufgesetzter Aluminium-Aufbau mit Stahlrohrrahmen und Sperrholzbodenplatte
  • Ausstattung: elegantes Lenkrad in Elfenbein-Optik, beleuchtetes Holzarmaturenbrett, elektrischer Anlasser, Geschwindigkeitsmesser, Kilometeranzeiger, Steckdose, elektrischer Scheibenwischer, Rückspiegel und Handschuhfach

Mehr zum Thema:

Industriemuseum Lohne: Fuldamobil in der Ausstellung, Ausstellungskataloge und Begleitbände im Archivraum des Museums

Stadtmedienarchiv im Heimatmuseum Lohne e. V.

PS Speicher Einbeck (Europas größtes Oldtimermuseum)

 

 

Ausgewählte Publikationen:

NWF 200: „Stromlinienförmige Karosserie aus Leichtmetall“, Als 1955 in Lohne das Fuldamobil gebaut wurde
Von Gert Hohmann, in: Laon – Lohne 2005, Lohne 2005 s: S. 57 bis 66; darin u.a.  auch Literaturangaben s. VDA 19. Folge und 20. Folge

 

Hochfliegende Pläne und jähe Enttäuschung.

Statt Kleinmotorenlieferung der Fuldamobilbau in Lohne, von Benno Dräger, in: Festhalten oder loslassen? Lohne und die Region in den 1950er und 1060er Jahren, Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung im Industrie Museum Lohne vom 14.10.2022 bis zum 15.10.2023, Lohne 2022, S. 76 bis 85, Literaturverzeichnis S. 85

 

Der Nordwestdeutsche Fahrzeugbau, Ein Stück Wilhelmshavener Industriegeschichte 1966-1955, Bernd Coldewey, Wilhelmshaven 2019

 

Heimat am Meer, Beilage Wilhelmshavener Zeitung, Nr. 6/2017 und 7/2017