Frau Rolfes-Gröninger, wie stehen die Chancen für Wiedereinsteiger:innen auf dem Arbeitsmarkt?
Stefanie Rolfes-Gröninger: Die haben sich in den letzten Jahren deutlich verbessert. Durch den Fachkräftemangel werden bis 2035 bis zu sieben Millionen Fachkräfte fehlen. Nach aktuellen Schätzungen könnten fast zwei Drittel dieser Stellen aus dieser „stillen Reserve“ besetzt werden. Und die ist diverser, als viele denken. Und hat zu einem großen Teil ein mittleres bis hohes Qualifikationsprofil.
Wer zählt denn alles zur „stillen Reserve“?
Die größte Gruppe stellen immer noch Mütter in oder nach der Erziehungszeit, auch wenn mit der Verteilung der Care-Arbeit ein Wandel eingesetzt hat. Aber auch Menschen, die Angehörige gepflegt haben, Minijobber:innen und Angestellte in Teilzeit zählen zur stillen Reserve. Lebensläufe unterscheiden sich. Und auch die Lösungen, die sich finden, um wieder in den (Voll-)Erwerb zu kommen. Manchmal braucht es keine Berufsrückkehr, sondern eine komplette Neuorientierung – sei es durch die persönlichen Lebensumstände oder weil das Berufsbild sich gewandelt hat.
Wie helfen Sie als Beauftragte für Chancengleichheit bei Wiedereinstieg oder Neuorientierung?
Eine wichtige Aufgabe ist, dass ich unser Angebot in die Breite trage, etwa durch Informationsveranstaltungen. Gleichzeitig bin ich in vielen Arbeitsgruppen und Netzwerken aktiv und schaffe so die Grundlage für ein großes Angebot von Hilfen, auf das wir in der Einzelberatung zurückgreifen können. Die übernehmen in der Regel die Kolleg:innen der Berufsberatung im Erwerbsleben. Meine Schwerpunktthemen sind beispielsweise die Teilzeitausbildung, Alleinerziehende, Pflege und Migrantinnen.
Welche konkreten Angebote gibt es?
Wir bieten sowohl informelle Informationstermine als auch persönliche Beratung an. Denn wir möchten nicht nur die Menschen erreichen, die schon von sich aus an einem Wiedereinstieg interessiert sind, sondern auch diejenigen, die auf ihrem Weg Unterstützung benötigen oder wünschen. Zur Beratung gehört, erst einmal festzustellen, welche Kompetenzen die Person mitbringt, welche Rahmenbedingungen die Lebensumstände geben und was der regionale Arbeitsmarkt im erlernten Beruf hergibt. Und dann geht es darum, persönliche Ziele zu definieren. Vom Praktikum in einem völlig neuen Betätigungsfeld über die Rückkehr in die Branche, eine Weiterbildung oder Qualifizierung bis zum Aufbaustudium kann alles dabei herauskommen. Wir helfen, den eigenen Weg zu finden, machen Qualifizierungsangebote oder knüpfen Kontakte zu Unternehmen. Durch meine Stabsstelle bin ich sehr gut im Landkreis vernetzt und berate auch Unternehmen, die für Wiedereinsteiger:innen attraktiver werden wollen. Denn der Bedarf ist da.
Was schätzen Unternehmen an Wiedereinsteiger:innen?
In der Wahrnehmung hat ein Wandel eingesetzt. Soft Skills wie Lebenserfahrung, Verantwortungsbewusstsein oder auch eine gewisse Stressresistenz, die Menschen nach Familien- oder Pflegezeiten mitbringen, werden bewusster wertgeschätzt. Wer davon als Arbeitgeber profitieren möchte, macht heute mehr möglich. Das kann individuelle Homeoffice-Regelungen, den Umgang mit Schichtdienst oder Urlaubszeiten betreffen. Auch das Bewusstsein, dass die jüngeren Generationen andere Wünsche haben, wächst. Denn klar ist auch: Wer Fachkräfte an sich binden will, muss ihnen ein Stück entgegenkommen.
Was, wenn der Wille da ist, aber die Rahmenbedingungen für den Neustart nicht passen? Zum Beispiel durch eine fehlende Kinderbetreuung oder schwierige Fahrzeiten?
Oft findet sich auch dafür eine Lösung. Wir haben ein großes Netzwerk in der Region, in das auch die Weiterbildungsträger eingebunden sind. Ganz konkret können etwa Fahrtkosten zur Qualifizierungsmaßnahmen und integrierten Praktika übernommen werden. Oder auch die Kinderbetreuung für die Zeit. Wir helfen, einen Anfang zu machen. Zu unserer Beratung gehört aber auch, Impulse zur Selbsthilfe zu geben. Denn wenn es mit dem Job klappt, brauchen gerade Familien für Krankheiten oder Ferienzeiten immer auch einen Plan B, besser auch einen Plan C. Wer sich rechtzeitig ein Netzwerk in der Nachbarschaft, im Familien- oder Freundeskreis oder innerhalb von Kitagruppen oder Schulklassen aufbaut, gerät dann nicht so schnell ins Schwimmen.
Gerade mit kleineren Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen kostet die Berufsrückkehr Energie. Was entgegnen Sie jungen Menschen, die sich davor scheuen – vielleicht weil es finanziell auch kein Problem ist, wenn das Haushaltseinkommen von einer Person verdient wird?
Grundsätzlich missioniere ich nicht, ich berate nur. Ich kann gut verstehen, wenn man in der Familienarbeit aufgeht, oder sich damit arrangiert hat. Ich rege aber an, auch andere Faktoren mit in die Entscheidung einzubeziehen. Denn ein Job bringt viel mehr als das zusätzliche Einkommen und Rentenansprüche. Wer in Teilzeit erst mal einen Fuß bei einem Unternehmen in der Tür hat, hat es leichter aufzustocken. Zum Beispiel wenn die Kinder selbstständiger werden, oder auch der Partner seinen Job verliert oder krank wird. In der Pandemie haben Menschen mit Mini-Job als erste ihre Anstellung verloren. Oder hatten keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld. Und auch wenn niemand das gerne hört: Viele Partnerschaften halten nicht das Leben lang. Häufig sind es die Frauen, die dann beruflich von Null anfangen müssen. Dem kann man vorbeugen.
Was empfehlen Sie, damit es gar nicht erst zum Bruch in der Erwerbsbiografie kommt?
Ich rate Frauen, die in Mutterschutz oder Elternzeit gehen, unbedingt mit ihrem Arbeitgeber in Kontakt zu bleiben. Erarbeiten Sie am besten gemeinsam schon vorher, wann und unter welchen Bedingungen Sie zurückkommen möchten – oder können. Viele Unternehmen sind in den letzten Jahren spürbar flexibler geworden.
Und wenn die Berufspause über Jahrzehnte ging?
Auch dann gibt es gute Chancen, und wir helfen, Sie zu sehen. Gerade nach einer Trennung oder Scheidung müssen Frauen sich oftmals neu orientieren und gegebenenfalls ihren bisherigen Lebensentwurf „korrigieren.“ Das Thema Selbstbewusstsein spielt hier eine große Rolle. Dann helfen wir erst einmal, die eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen zu benennen, Potenziale aufzudecken und in sich hineinzuhören, wohin die Reise gehen soll. Das geht nicht von heute auf morgen, hat auch mit dem Aufbau von Selbstwertgefühl zu tun. Dabei helfen die geschulten Leiter:innen von Qualifizierungsmaßnahmen, aber auch die neuen Kontakte, die man dort knüpft. Zu erkennen „Ich bin nicht allein, ich kann etwas“ ist ein großer Gewinn. Ich kann nur appellieren: Es lohnt sich, raus aus der Komfortzone zu kommen. Ja, Veränderung ist anstrengend und braucht Mut. Aber je öfter ich es wage, desto leichter wird es. Und mit jedem Mal wachsen Stolz und Sicherheit.“