Der Traum vom Tiny House

Wohnglück auf 20 Quadratmetern

Autor*in: LISA KNOLL

Tny House, das. [auf einem ­Kfz-­Anhänger gebautes] ­kleines, kompaktes ­­Wohn­haus[, das an den gewünschten Ort trans­portiert werden kann]. So steht es in diesem Jahr zum ersten Mal ­offiziell im Duden. Das Tiny House ist ­mittlerweile nicht nur im allgemeinen Sprachgebrauch ­angekommen, sondern wird auch als Wohnform immer ­beliebter. Einer, der sich den Bau dieser Minihäuschen auf die Fahnen geschrieben hat, ist Christian Koopmann aus Molbergen.

RAUMWUNDER In diesen vier Wänden bringt der Tischlermeister ein ganzes Wohnhaus unter – mit handwerklichem Know-how und Kreativität.

2017 entdeckte der Tischlermeister seine Begeisterung für Tiny Houses. Das erste baute er ganz für sich, „einfach mal so zum Aus­probieren". Daraus wurde schnell mehr: „Ich wollte wissen, wie potenzielle Kunden darauf reagieren und habe das fertige Haus ins Internet gestellt", erinnert sich Koopmann. „Plötzlich bekam ich innerhalb kurzer Zeit sehr viele Anfragen."

Zwei Jahre später ist der 25-Jährige mit „Tiny House Koopmann" selbstständig und erfüllt seinen Kunden ganz individuell den Traum vom eigenen Miniaturhaus. Sein erster Auftrag kam aus Stuttgart, der zweite aus Frankfurt. Bis zur Fertigstellung des kleinen Eigenheims dauert es rund zwölf Wochen, die Vorlaufzeit beträgt ein gutes Jahr.

Der große Wunsch vieler Tiny-House-Fans: Unabhängigkeit.

46 Quadratmeter Wohnfläche stehen jedem Bundesbürger durchschnittlich zur Verfügung – Koopmanns Tiny-Häuser bieten weniger als die Hälfte. Auf einem Friesoyther Campingplatz kann man deshalb probewohnen. Über die Sommermonate war das Häuschen fast immer ausgebucht. Küche, Bad, Wohn- und Schlafbereich finden auf kleinstem Raum Platz. Doch der helle, geräumig gestaltete Innenraum lässt schnell vergessen, dass man sich hier auf nur 20 Quadratmetern bewegt. Die Treppen­stufen, die zum Schlafbereich führen, sind auch als Schränke nutzbar, eine platzsparende Infrarot-Heizplatte an der Wand sorgt für eine angenehme Wärme. „Mir war es wichtig, dass man ein offenes Gefühl hat, wenn man reinkommt", so Koopmann. „Es ist aber ganz klar als Ferienhaus konzipiert. Fürs dauerhafte Wohnen gibt es in diesem Modell dann doch zu wenig ­Stauraum."
Was viele Tiny-House-Bewohner eint, ist der Wunsch nach Unabhängigkeit. Sie wollen unkompliziert von A nach B ziehen oder abseits üblicher Wohnsiedlungen ihr Lager aufschlagen. „In gewissem Maße kann ich diesen Wünschen nachkommen, etwa durch integrierte Wassertanks oder eine Photovoltaik-Anlage. Eine komplette Autarkie ist in der Regel nicht so einfach." Man könne nicht das ganze Jahr vom eigenen Strom auf dem Dach leben, so Koopmann, denn die Batterien speichern Energie nicht langfristig genug, um über den sonnenarmen Winter zu kommen. Dafür empfiehlt er eine Anbindung an das örtliche Stromnetz.

INTERVIEW Christian Koopmann berichtet von seiner Arbeit.

In den vergangenen Jahren haben sich dennoch immer mehr Anhänger des minimalistischen Wohnstils gefunden. So findet 2021 in Karlsruhe bereits zum dritten Mal das New Housing Tiny-House-Festival statt. Rund 50 Aussteller präsentieren die neuesten Trends und locken damit einige tausend Besucher aufs Messegelände. Und auch in den Sozialen Medien wächst eine rege Community heran.

Jeder dritte Deutsche findet ein Leben im Tiny House reizvoll.

Die nächste Maßanfertigung aus ­Koopmanns Werkstatt soll später auf einem Dauercampingplatz stehen und als Ferienhaus genutzt werden. Eine andere Kundin suchte eine Möglichkeit, auf dem elterlichen Grundstück unabhängig wohnen zu können. Und auch Berufspendler ziehen das Tiny House als Werktags­bleibe immer häufiger einem ­anonymen Pensionszimmer vor.
Vieles im Bauprozess ist durch behörd­liche Auflagen vorgegeben, doch Innen­einrichtung, Außenverkleidung oder Dachform sind frei wählbar. Schon ab 40.000 Euro lässt sich ein einfaches Modell realisieren. In Koopmanns Werkstatt bleibt aber auch genügend Spielraum für Sonderwünsche: zum Beispiel für einen ausklappbaren Küchentresen für mehr Raum zum Kochen oder einen Holzofen im Wohnbereich.

Geprüft und genehmigt Gemeinsam mit einer Archi­tek­tin hat Christian Koopmann eine Grundstatik erarbeitet, die der Energieeinsparungsverordnung (EnEV) folgt, denn: „Durch die EnEV-Zertifizierung ist es fortan leichter, eine ­Baugenehmigung zu ­bekommen. Das war am ­Anfang eine der größten Hürden." Obwohl das Eigenheim kaum größer als eine Gartenhütte ist – einfach irgendwo in die Landschaft stellen geht nicht. Bauordnung und ­Bebauungsplan müssen ­ein­gehalten werden. Mit ­fahrbarem Untersatz hin­gegen kann ein Tiny House als Wohnwagen verwendet werden, muss aber regelmäßig vom TÜV geprüft und entsprechend ­versichert sein.

Immerhin jeder dritte Deutsche könnte sich ein Leben im Tiny House vorstellen. Aber wie viele Quadratmeter braucht der ­Tiny-House-Bauer selbst zum Glücklichsein? „Für den Urlaub kann ich mir nichts Besseres vorstellen", lautet die schnelle Antwort, „aber im Alltag brauche ich auf jeden Fall Platz!" Und davon eine ganze Menge. Ein alter Bauernhof soll es später mal sein, mit geräumiger Scheune, die zur Werkstatt umgebaut werden kann. Große Pläne also, nicht nur fürs Eigenheim. Auch Koopmanns Firma soll auf lange Sicht wachsen.

SPIELRAUM Die Inneneinrichtung wird nach individuellen Wünschen gestaltet.

Das Tiny House in Friesoythe hat Christian Koopmann inzwischen verkauft. Das nächste Modell zum Probewohnen ist aber schon in Arbeit. „Ich habe in den letzten Monaten viele Ideen gesammelt und weiß nun, was man hier und da noch verfeinern könnte – das alles möchte ich natürlich gern zeigen", erzählt er. „Das nächste Haus zum Probewohnen bekommt einen Schlafbereich im Erdgeschoss. Das ist vor allem für ältere Kunden interessant." Fest steht: Tiny Houses sind schon lange keine provisorische Bleibe mehr. Ob als dauerhafter Wohnsitz oder als Wochenenddomizil, auch auf kleinster Fläche lässt es sich gemütlich leben. Vor allem in einem Eigenheim aus dem Hause Koopmann.

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