Agrar- und Ernährungswirtschaft

Zurück nach Kartzfehn

Autor*in: THORSTEN MAHLSTEDT

Am 6. Oktober 2020 war es soweit: Nach einer mehr als einjährigen Vorbereitungszeit, in der nur engste Vertraute in die Pläne eingeweiht waren, wurden die Verträge unterschrieben. Die Familie Dr. Barbara und Thomas Storck hat alle Anteile der Familie von Kameke an dem Putenvermehrungsbetrieb übernommen und ist damit neuer Eigentümer des Moorgutes Kartzfehn.

Familie Storck auf dem Gelände des Moorguts Kartzfehn in Bösel.   

Der Traditionsbetrieb wurde 1922 von Kartz von Kameke gegründet und begann 1957 mit der Putenvermehrung. Über Jahrzehnte hinweg wuchs Kartzfehn zum größten unabhängigen Putenvermehrungsbetrieb Europas heran. Ein Meilenstein in der Unternehmensgeschichte war die Übernahme des größten ostdeutschen Putenvermehrungsbetriebs Märkische Puten GmbH im Jahre 1991; der Betrieb in seiner wertvollen brandenburgischen Gesundlage ist noch heute ein wichtiger Standort für hochwertige Putenelterntiere.

Auch die 50-Prozent-Beteiligung am Futtermittelwerk Themann in Bösel sichert dank der eigens konzipierten Futtermittelrezepturen für Elterntiere die Qualität der erzeugten Produkte. Aus zwei Brütereien werden die Eintagsküken heute nicht nur in Deutschland, sondern auch in eine Vielzahl von benachbarten Ländern sowie in Drittländer, meist mit eigenem Fuhrpark, ausgeliefert.

Familie Storck ist vielen Mitarbeitern und Kunden gut bekannt. Die Eheleute begannen beide nach ihrer Ausbildung die berufliche Karriere in Kartzfehn. Agraringenieur Thomas Storck stammt aus Westfalen vom Hof Storck-Kellinghaus, einem ehemaligen Rittergut. Dort ist er mit der Landwirtschaft und fünf weiteren Geschwistern aufgewachsen. Der ältere Bruder übernahm den elterlichen Betrieb. Die Ausbildung an verschiedenen Stationen brachte ihm die Pute näher; schon während des Studiums schrieb er seine Diplomarbeit in Kartzfehn. Danach folgten acht Jahre Tätigkeit im Unternehmen Kartzfehn, zuletzt als stellvertretender Vertriebsleiter neben dem heutigen Vorsitzenden der Geschäftsführung Heinz Bosse.

Im Jahre 2001 nutzte Thomas Storck die Möglichkeit, einen großen landwirtschaftlichen Putenmastbetrieb in Brandenburg zu übernehmen. Dieser wurde durch Zukauf und Neubau von Ställen unter anderem in Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen kontinuierlich ausgebaut. Darüber hinaus vertrat er 15 Jahre die Interessen der deutschen Putenerzeugung, zuerst ab 2006 als „Fachbeiratsvorsitzender Putenmast" und ab 2010, nach einer Umstrukturierung des Verbandes, als Vorsitzender des Verbandes Deutscher Putenerzeuger sowie als stellvertretender Präsident des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft bis zum Frühjahr 2021.

Dr. med. vet. Barbara Storck, die gebürtige Kölnerin, wuchs auf einem landwirtschaftlichen Betrieb im Rheinland auf. Sie studierte von 1989 bis 1995 an der FU Berlin Veterinärmedizin und schrieb ihre Dissertation bei Prof. M. Hafez zum Thema Bruteihygiene. Zu diesem Zeitpunkt war sie bereits als Tierärztin für die Bereiche Tiergesundheit und Labore in Kartzfehn und Gühlen-Glienicke verantwortlich.

Anfang 2001 verließ Barbara Storck das Moorgut Kartzfehn und gründete in Garrel ihre eigene Groß- und Kleintierpraxis – die Tierärztliche Praxis zur alten Mühle und das akkreditierte Labor hinterm Esch.

Zur Familie Storck gehören auch drei Kinder, die ebenfalls ihre Zukunft in der Landwirtschaft sehen. Die älteste Tochter und der Sohn studieren Agrarwissenschaften mit verschiedenen Schwerpunkten. Auch die jüngste Tochter strebt nach dem Abitur und der landwirtschaftlichen Ausbildung ein Studium der Tiermedizin an.

Als vor rund vier Jahren bekannt wurde, dass die Familie von Kameke die Putenaktivitäten zu veräußern plante, reifte bei den Storcks der Gedanke an einen Kauf heran. „Wir wollen das Unternehmen erfolgreich fortführen und weiterhin ein zuverlässiger Partner für Landwirte, Vermarkter, Züchter, Tierärzte, Futtermittelfirmen, Stallausrüster und die Forschung sein. Die gute Zusammenarbeit mit allen, denen die Pute am Herzen liegt, wird in gewohnter Weise fortgesetzt. Die Arbeitsplätze der rund 500 Mitarbeiter sollen erhalten und gerne auch ausgebaut werden", so die Eheleute Storck.

Der Eigentümerwechsel fand in einer herausfordernden Zeit statt. Corona hatte zum einen das Exportgeschäft Kartzfehns beeinflusst. Insbesondere Polen als größtes Putenerzeugerland Europas wurde durch die Lockdowns in Europa unmittelbar getroffen. Durch die massiven Einschnitte in Gastronomie, Hotellerie und Großveranstaltungen entstand schnell ein Mengendruck, nicht nur bei Putenfleisch. Zum zweiten mussten natürlich auch innerbetrieblich Arbeitsabläufe coronabedingt umorganisiert werden.

Synergien nutzen

Durch die Tierarztpraxis, das akkreditierte Labor und die bereits vorhandenen Mastställe in Brandenburg lassen sich Synergien nutzen: Mitarbeiter aus allen Bereichen können sich ergänzen.

Das Kartzfehner Labor in Gühlen-Glienicke arbeitet heute eng mit dem Labor in Garrel zusammen und schafft so kurze Wege. Auch die Jungputenerzeugung für die Kunden sowie die Eigenmast ist optimiert und die Auslastung der Ställe oder des eigenen Fuhrparks durch Rhythmusanpassung erhöht.

Je nach Absatzsituation für Putenbruteier und Puteneintagsküken ist eine Anpassung der Kapazitäten von Elterntierställen durch Umwandlung der im Umfeld liegenden Farmen des Mastbetriebes in Brandenburg zu realisieren. Auch die Nutzung der großen Dachflächen für Photovoltaik ist aktuell durch den Eigenstromverbrauch durchaus wirtschaftlich und wird weiter ausgebaut.

Innovation vorantreiben, Ideen weiterentwickeln

Tierhaltung ist grundsätzlich nur begrenzt mechanisierbar. Technik kann zwar in vielerlei Hinsicht die tägliche Arbeit erleichtern, das geschulte Auge und die Erfahrung eines guten Tierbetreuers aber nicht ersetzen. Nach diesem Motto wurde in der Kartzfehner Elterntierhaltung gemeinsam mit HoBohTec aus Garrel ein Roboter namens Ei-Sam entwickelt, der die einfache, aber körperlich anstrengende Tätigkeit des Bruteiersammelns übernehmen kann.

Die Herausforderung dabei ist, die Putenhenne vorsichtig und tierwohlgerecht aus ihrem Nest zu schieben. Die Bruteier werden nach der Entnahme aus dem Nest automatisch gereinigt, vermessen, gewogen und nach Gewicht und Form sortiert. Ei-Sam fährt auf einer Laufschiene über den Legenestern und kann somit alle Nester abfahren, ohne dass Mensch oder Tier am Boden gefährdet werden. Dem Tierbetreuer bleibt dadurch mehr Zeit, sich um die Tiere zu kümmern.

Verwaltung in Kartzfehn   

Forschung als Grundlage für den Erfolg

Die Putenhaltung stellt den Landwirt – wie alle Betriebszweige – immer wieder vor neue Fragestellungen, die es zu lösen gilt. Forschung für die praktische Putenmast ist daher ein unverzichtbarer Teil der Weiterentwicklungsstrategie für die Branche, aber auch die Grundlage der Entwicklung politischer Vorgaben.

Das Moorgut Kartzfehn setzt seit mehr als 50 Jahren auf umfangreiche Forschungsaktivitäten in eigens dafür eingerichteten Mastställen. Auch in Zukunft werden dort von der Wahl der passenden Zuchtlinie über die richtige Fütterung bis hin zur tiergerechten Stalleinrichtung und Einstreu alle Themen der Putenmast bearbeitet. Die enge Zusammenarbeit mit anderen Forschungsstandorten, Hochschulen und Fachleuten aus der Wirtschaft führt so zur Entwicklung von gemeinsamen Normen für alle Bereiche der Putenhaltung.

Fachkräfte von morgen ausbilden

Eine der größten Herausforderungen der Wirtschaft stellt der Fachkräftemangel dar. Um diesem Problem zu begegnen, bildet Kartzfehn seit Jahrzehnten junge Menschen zu hochqualifizierten Mitarbeitern aus. Dabei liegt der Fokus auf den weniger bekannten Berufen Tierwirt Fachrichtung Geflügel sowie Berufskraftfahrer. Außerdem bildet Kartzfehn Industriekaufleute aus und bietet einen dualen Studiengang in BWL Fachrichtung Agrar an.

Bei der Suche nach geeigneten Bewerbern werden neben klassischen Print-Anzeigen und der Teilnahme an Jobmessen auch die sozialen Medien genutzt. Der Instagram-Kanal kartzfehn_karriere informiert seine Follower wöchentlich über den Arbeitsalltag und Aktivitäten der Azubis oder gibt Tipps für die Bewerbung. In den vergangenen 15 Jahren haben mehr als 50 junge Menschen erfolgreich ihre Ausbildung in Kartzfehn absolviert. „Diese Übernahme ist eine große Aufgabe, aber wir sind überzeugt, dass Geflügelfleisch weiter im Trend liegen wird und wir mit dem Moorgut Kartzfehn diese Entwicklung im Interesse unserer Kunden positiv begleiten können", blicken die Eheleute Storck positiv in die Zukunft.

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