Schallplatten

Schätze aus Vinyl

„Es ist ein tolles Gefühl, zu wissen, dass tausende Kilometer entfernt jemand unser Angebot zu schätzen weiß" – Womit Wolfgang Stephans Buch- und Plattenladen „Calypso" Liebhaber von Estland bis Mexiko glücklich macht, verrät der Cloppenburger im Magazin.

BEMERKENSWERT Rund 15.000 Schallplatten im Verkauf, weitere 8.000 in der Privatsammlung – den Überblick verliert Wolfgang Stephan jedoch nie.

Aus einer ­Platte sollten bald viele tausend werden, denn auf die einstige Schwärmerei eines Teenagers folgten mehr als vier Jahrzehnte Berufserfahrung im Schallplattengeschäft. Seit 1988 ist der gebürtige Franke im ­Oldenburger Münsterland zuhause. In Bamberg betrieb Stephan zehn Jahre lang einen Buch- und Plattenladen, doch das teure Pflaster der Universitätsstadt sorgte dafür, dass der Gewinn auf lange Sicht nicht für ein auskömmliches ­Leben reichte. Da kam Cloppenburg, die Heimat seiner Frau, ins Spiel: Deutlich niedrigere ­Lebenshaltungskosten und dazu die Möglich­keit, mietfrei im ehemaligen Haus der Oma unterzukommen. Ein guter Deal, fand Stephan. „Freunde und Familie haben uns damals für verrückt erklärt, aber ich wusste, dass der Umzug in den Norden die richtige Entscheidung sein würde."

Kurze Zeit später eröffnete das junge Paar die Buchhandlung Calypso in der Mühlen­straße – mit anspruchsvollen Romanen und Underground-Literatur, alternativen Öko-Rat­gebern und Oldtimerfachbüchern, dazu ein extra­vagantes Schallplattensortiment. „Von einer Marktlücke alleine hätten wir wohl nicht leben können. Zusammen aber haben sie eine Vielfalt geschaffen, die man damals nur aus Groß­städten kannte", begründet Wolfgang Stephan den Erfolg des Ladens.

Estland, Singapur,
USA – Stephan hat Kunden in aller Welt.

ls die Lage für kleine stationäre Buchläden Anfang der 2000er Jahre zusehends schwierig wurde, traf Stephan erneut die richtige Entscheidung zur richtigen Zeit. Er gab das Geschäft in der Cloppenburger Innenstadt nach zwanzig Jahren auf und machte sich auf zu ­neuen, digitalen Ufern. Heute vertreibt er ­seine Ware über Amazon Marketplace, vor allem inner­halb Deutschlands und nach Österreich. Aber auch Verkäufe nach Estland, Singapur oder in die USA sind keine Seltenheit. „Ein Kunde aus Mexiko hat kürzlich zum dritten Mal bestellt – obwohl es mehrere Wochen dauern wird, bis die Platten bei ihm ankommen", erzählt der erfahrene Händler stolz. „Es ist ein tolles Gefühl, zu wissen, dass tausende Kilometer entfernt ­jemand unser Angebot zu schätzen weiß."
Rückblickend habe er im Wesentlichen ­alles richtig gemacht, sagt der 66-Jährige ­heute, denn Veränderungen müssten schließlich sein, damit das Leben spannend bleibt. „Am Anfang wollte ich die Kultur der großen weiten Welt nach Cloppenburg holen. Heute trage ich sie von hier aus wieder in die Welt hinaus."

BEGEISTERT Bis heute hegt Wolfgang Stephan eine besondere Leidenschaft für Jazz.
Mit LPs von Julie Driscoll fing in den 1970ern alles an.

Dass Stephan und seine Frau das über Jahrzehnte zusammengesammelte Sortiment heute ausgerechnet über den umstrittensten aller ­Versandriesen vertreiben, sorgte in ­ihrem Umfeld anfangs für Unverständnis. Doch die Vorteile überwiegen. „Natürlich haben wir uns damit ein Stück weit von Amazon abhängig gemacht. Gleichzeitig profitieren wir aber vom großen Namen und der guten Platzierung in ­allen gängigen Suchmaschinen." Ein eigener Online-Shop wäre zudem um ein Vielfaches aufwendiger und würde niemals von Kunden in aller Welt gefunden werden.

Im Online-Shop finden sogar einstige Ladenhüter einen Abnehmer.

Am Ende des Tages ist es also eine ­Kosten-Nutzen-Rechnung, die Wolfgang Stephan aufstellt. Nichtsdestotrotz ist seine Leidenschaft für die Musik noch immer un­gebrochen. Wenn er mit funkelnden Augen von seinem Beruf erzählt, schwingt in jeder Silbe vor allem eines mit: absolute Begeisterung. Und das war schon immer so. Bereits in seinen frühen Berufsjahren spezialisierte er sich auf Jazz. Experten in diesem Genre sind selten, viele der oft nur in geringer Auflage gepressten Jazz-LPs gelten heute als Raritäten. Auf den alten ­Ladentischen und in den deckenhohen ­Regalen im Calypso-Lagerraum finden sich aber nicht nur echte Schätze, sondern auch der „Beifang" aufgekaufter Privatsammlungen: Volksmusik, Schlager, Chorgesänge. Dass er auch die Ladenhüter mittlerweile loswird, verdankt er der ­großen Reichweite seines Amazon-Shops. Sein kuriosestes Verkaufserlebnis? „Ganz klar: Als ein Japaner einmal eine LP mit deutschen Militärmärschen bestellt hat. Das war wirklich verrückt."

BESONDERS Ab und an werden auch Alben aus der Region bestellt.

Vor-Ort-Besuche gestattet Wolfgang Stephan mittlerweile nur noch seinen Stammkunden. Aber wenn er bei einem Anrufer wirkliches Interesse spürt, lädt er auch mal einen Fremden ein. So war vor einiger Zeit ein Finne zu Besuch, der sich auf der Durchreise spontan meldete. Er sei selbst Besitzer eines Plattenladens und wolle einfach mal ein wenig fach­simpeln. Solche Treffen nimmt Stephan noch immer gern wahr. Und ans Aufhören denkt er noch lange nicht. „Wenn ich geistig fit bleibe, werde ich auch mit 80 noch Platten verpacken und zur Post bringen. Notfalls mit dem Rollator", prophezeit er lachend. Dass nach ihm wohl niemand sein Lebenswerk weiterführen wird, sieht er hingegen ganz pragmatisch. „Dann ist das eben so, alles ist irgendwann einmal vorbei. Bis dahin höre ich mir weiterhin jeden Abend ein paar meiner Lieblingsplatten an und lese dazu ein gutes Buch. Denn das ist doch das Schönste, was es gibt."

Im Jahr 2019 wurden in Deutschland 3,4 Mio. Schallplatten verkauft. Damit haben sich die Verkaufszahlen seit 2010 verfünffacht. Die CD befindet sich hingegen im Sinkflug. „In unserer digitalisierten Welt findet zurzeit eine Rückbesinnung auf das physische Musikerlebnis statt", sagt Wolfgang Stephan. Zugunsten der qualitativ hochwertigeren und somit langlebigeren Schallplatte." Er selbst bietet rund 15.000 Exemplare in seinem Online-Shop an.