Zwischen Mord und Mikrofon

Vergessene Verbrechen aus dem Oldenburger Münsterland

12.01.2023
Autorin: Katja Hofmann

Katja Hofmann ist in die Vergangenheit eingetaucht und war bei der Produktion eines Podcasts über historische Kriminalfälle dabei.

HEIMSTUDIO Mit professionellem Equipment nehmen Lukas Aufgebauer und Christine Vogel den Podcast von zuhause aus auf.

Vechta, 1806: Notfall im Haus des Armenvogts. Seine Frau und die vier Kinder zeigen schwere Vergiftungserscheinungen. Schuld sind die kurz zuvor von der Mutter gebackenen Pfannkuchen. Statt Mehl hat sie offenbar Arsen verwendet. Und so wird der Schmaus zum Graus. Der eilends herbeigerufene Arzt und der zuständige Amtmann gehen der Sache auf den Grund: Wie ist die Familie an das Gift gekommen? Und warum wurde es in den Pfannkuchenteig gerührt? Versehen oder Verbrechen?

Oldenburg, 2022: Prof.in Dr.in Christine Vogel von der Universität Vechta und Lukas Aufgebauer vom Museumsdorf Cloppenburg sitzen vor ihren Mikrofonen und sprechen über das Geschehen. Es ist keineswegs ein fiktiver Fall, sondern waschechte Geschichte. Am Ende heraus kommt dabei die neue Folge ihres Podcasts „Vergessene Verbrechen“. „Ein True Crime Podcast, aber kein typischer“, erklärt Christine Vogel lachend. Denn die Kriminalfälle haben sich alle im 18. und 19. Jahrhundert im Oldenburger Münsterland – ehemals Teil des Großherzogtums Oldenburg – zugetragen. „Dahinter stehen echte Menschen und Schicksale. Es sind wahre Begebenheiten, die wir eng an den Quellen aus dem Niedersächsischen Landesarchiv, Abteilung Oldenburg, nacherzählen“, ergänzt Lukas Aufgebauer die Aussage seiner Kollegin.

Der Podcast ist
eine Mischung aus
Erzählung und
wissenschaftlichem
Beleuchten.

Der Podcast ist ein gemeinsames Projekt der Universität Vechta und des Museumsdorfs Cloppenburg. Sein ursprüngliches Ziel war, Studierenden des Fachs Geschichte die Archivarbeit näherzubringen. „Die Aufgabe lautete, kreativ aufzuarbeiten, wie man damals im ländlichen Raum gelebt hat. Um das Ganze spannend zu gestalten, habe ich das Thema Konflikte und Kriminalfälle ausgewählt“, berichtet Christine Vogel. Natürlich hätte man sich auch auf Geschäfte oder Feste der damaligen Zeit konzentrieren können. „Die Streitigkeiten und Gräueltaten erwecken aber noch einmal ein besonderes Interesse“, weiß sie.

Christine Vogel und Lukas Aufgebauer arbeiten nicht zum ersten Mal zusammen. Auch die Studierenden kommen weiterhin zum Zug, von der Archivarbeit bis hin zu dem einen oder anderen Auftritt vorm Mikrofon. Ein Podcast will gut geplant und aufgebaut sein. In jeder Folge wird zunächst der jeweilige Fall veranschaulicht. „Da gehören Sprechrollen und Soundeffekte einfach dazu, die Hörenden sollen sich richtig in die Zeit und das Geschehen einfühlen“, erklärt Lukas Aufgebauer, der für das Skript zuständig ist. „Nachdem dieser Teil abgeschlossen ist, unterhalten wir uns über den Fall, analysieren und kommentieren.“ Dafür hat er zwei hochwertige Mikrofone und ein Aufnahmegerät organisiert. So wird aus Christine Vogels Arbeitszimmer mal eben schnell ein gut ausgestattetes Tonstudio.

Auch die Recherche selbst ist bereits eine Mammutaufgabe. Die Arbeit im Landesarchiv ist vielfältig, manchmal sieht sie genau so aus, wie man es sich vorstellt: alte Dokumente, Tintenflecken, in das Papier gefaltete Eselsohren. „Wenn man einen spannenden Fall gefunden hat, kann man sich richtig darin verlieren“, erzählt Vogel träumerisch. Genau das sollen ihre Studierenden kennenlernen – „die Geschichte aufarbeiten, sich in die damalige Zeit hineindenken“.

 

ARCHIVARBEIT Die Geschichte modern aufzuarbeiten – das ist das Ziel des Podcasts.

Bei „Vergessene Verbrechen“ geht es aber gar nicht um die spektakulärsten Mordfälle, sondern vor allem um das Leben in der damaligen Gesellschaft. Wie entstanden Konflikte zwischen Familien, Nachbarschaften, Gemeinden? Wie wurden sie gelöst? Dieser Bezug wird auch in der siebten und letzten Folge der ersten Staffel deutlich, die den Namen „Arsen und Pankooken“ trägt.

Zurück ins Jahr 1806. Es stellt sich heraus, dass das Gift vom Sohn der Familie an einer Straßenecke gefunden worden war. Ein Beutel mit unbekanntem weißem Pulver – warum sollte man es auf gut Glück im Essen verwerten? Der Gedanke an Mord liegt nahe, in den Verdacht gerät der Familienvater, der Armenvogt selbst. Letztlich ergeben die Ermittlungen aber, dass es sich um ein tragisches Unglück handelte. Weil ihr Mann durch seine Alkoholsucht kaum noch Geld nach Hause brachte, wusste die Mutter sich nicht anders zu helfen und nutzte das gefundene Pulver, das sie für Mehl hielt, zum Backen. Am Ende ließen sie und eine ihrer Töchter dafür ihr Leben.

„Der Fall ist tragisch“, findet Christine Vogel. Dass zwei Menschen gestorben sind, haben sie erst zum Ende ihrer Recherche herausgefunden. „Dadurch ist uns nur noch klarer geworden, in welchen Verhältnissen die Unterschicht teilweise lebte.“

Das Zusammenspiel aus Begeisterung für Geschichte, Verbundenheit zum Oldenburger Münsterland und dem Nervenkitzel, den die spannenden Kriminalfälle mit sich bringen, treibt Lukas Aufgebauer und Christine Vogel an. Und sie haben bereits ein großes Publikum: Über 17.000 regelmäßige Hörer:innen hat der Podcast. „Viele stammen natürlich aus der Region und werden über ihren eigenen Heimatbezug angezogen“, sagt Lukas Aufgebauer. Es gibt jedoch auch Abrufe aus anderen Regionen Deutschlands und der Schweiz. „Diese Reichweite macht uns stolz“, betont Christine Vogel.

Beim Abruf des Yumpu E-Papers werden unter Umständen personenbezogene Daten wie z.B. Ihre IP-Adresse erfasst und an den Anbieter in den USA weitergeleitet. Mehr Informationen erhalten Sie unter Datenschutz.
Ich möchte das E-Paper trotzdem lesen.