Diana Fieberg pflückt die kleinen, orangenen Früchte vom Strauch. Ein kurzer, skeptischer Blick auf die Hand, dann landet der Sanddorn im Mund. Die Gartenbaumeisterin verzieht das Gesicht. Die Früchte schmecken säuerlich-herb. „Das ist pure Kindheit", beschreibt sie den Duft, der über der Sanddornplantage liegt. Die befindet sich nicht irgendwo, sondern mitten in Vechta. Genauer gesagt: mitten in der offenen Justizvollzugsanstalt (JVA) für Frauen.
Geerntet wird alle zwei Jahre
Früher, so erinnert sich Diana Fieberg, habe sie jeden Morgen einen Esslöffel Sanddornsaft zu sich genommen, um nicht krank zu werden. Das habe auch weitestgehend geklappt. Die kleinen Beeren gelten als wahre Vitaminbomben. „Also machen wir mit der Plantage seit 2006 nicht nur etwas Sinnvolles für die Frauen, sondern auch für die Gesundheit", gibt die aus Mecklenburg-Vorpommern stammende Mitarbeiterin zu verstehen.
Zum Sanddorn-Team in Vechta zählen zehn Inhaftierte, die sich um den gesamten Gefängnisgarten kümmern. Jedes zweite Jahr im September steht die Ernte an. Dann müssen die Frauen drei Wochen bei Wind und Wetter auf dem Feld arbeiten: mit einer Rosenschere die stacheligen Äste abknipsen und so die Sträucher abernten. Auch während der Vegetationszeit gibt es viel zu tun: „Pflegearbeiten, die männlichen Pflanzen zurückschneiden, die Reste bearbeiten und verwerten", nennt Diana Fiebert als Aufgaben. Die „Männer" sind zum Bestäuben der weiblichen Pflanzen da. Letztere tragen die Vitamin-C-haltigen Früchte und haben auf der Plantage die Überhand: „Deshalb passt Sanddorn auch so gut in den Frauenvollzug", scherzt die stellvertretende Anstaltsleiterin Petra Huckemeyer.
Auch Kreativität ist gefragt
Bis zu sechs Meter hoch sind die knapp 3.650 Sträucher, die sich im Gefängnis auf 2,4 Hektar verteilen. Damit besitzt die JVA Vechta die größte Sanddornplantage in den alten Bundesländern. Man kann sich glatt darin verlaufen. Weiterverarbeitet wird die Ernte in externen Betrieben. Die Palette reicht von Gelee über Senf bis hin zu Spirituosen – jeweils verziert mit Etiketten, die die Gefangenen selbst erstellt haben.
Zu kaufen gibt es die fertigen Produkte im Internet und im hauseigenen Shop. Der trägt den Namen „Justiz-Irrtum". Warum das? Vor der Eröffnung des – damals noch namenlosen – Ladens, erinnert sich Diana Fiebert, sei ein Beauftragter des Arbeitsamtes mit den Helferinnen ins Gespräch gekommen. Anschließend habe er schmunzelnd gemeint: „So wie ich das hier höre, können die doch alle nur unschuldig sein!" Diese Aussage habe man so treffend gefunden, dass der Shop auf den Namen „Justiz-Irrtum" getauft wurde.
Gefragt ist bei den Sanddorn-Frauen also neben Kraft und Ausdauer auch Kreativität. Schließlich sollen sie selbstständig auftreten und Eigeninitiative zeigen. So wie Anna Wind*. Sie tuckert gerade mit dem Rasentraktor über den Anstaltshof und ist nicht zu überhören. Seit knapp zwei Wochen arbeitet sie im Team mit. Die Beschäftigung im Garten ist für sie genau das Richtige. Auf einem Hof groß geworden habe sie immer schon gern draußen gearbeitet. „Außerdem sehe ich, was ich am Ende des Tages alles geschafft habe", erzählt sie stolz. „Das ist ein schönes Gefühl."
Heute noch in der JVA, morgen schon unsere Nachbarn.
Arbeiten ist in Deutschland für Insassen einer Vollzugsanstalt nicht nur Pflicht, sondern ein zentraler Teil der Resozialisierung. Auf diesem Weg erhalten Inhaftierte einen strukturierten Tagesablauf, der ihnen nach ihrer Entlassung hilft, wieder in die Berufswelt zu finden. „Für Damen, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind, liegt die größte Strafe im Verlust ihrer Freiheit", erläutert Petra Huckemeyer. Vor allem deshalb ist die Gartenarbeit eine große Herausforderung für die Insassinnen. Denn sie können auch außerhalb der Gefängnismauern eingesetzt werden. „Die größte Hürde ist es dann, zurück zu kommen", sagt die stellvertretende Leiterin der Anstalt. Entscheidend: Die Frauen sollen selbst Verantwortung übernehmen und ihre Sozialverträglichkeit unter Beweis stellen. Dies müsse aber nicht nur von den Frauen, sondern auch von der Gesellschaft gewollt sein. „Man darf nicht vergessen: Alle, die jetzt noch in der JVA sind, sind bald wieder unsere Nachbarn."
Und das Konzept funktioniert. Den Beweis liefert etwa Chantal Schmidt*. Sie hat die Vielseitigkeit der Arbeit und die frische Luft seit Oktober letzten Jahres genossen, hat Schnee geschippt, die Pflanzen bewässert und am Ende ihr Ziel erreicht: das freie Arbeitsverhältnis außerhalb der JVA. Die Erfahrungen, die sie auf der Plantage machen durfte, wird sie behalten und mit in ihre Zukunft nehmen. Und dazu gehört ebenso eine spezielle Erkenntnis: „Sanddorn ist wirklich sauer!"
*Die Namen der Inhaftierten sind von diesen frei erfunden.
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