Digitalisierung im OM

Digital? Aber total.

22.06.2021

Die Tür der ­Maschine ­öffnet sich. Keine Se­kunde später greift ein Arm hinein, nahezu lautlos und hochpräzise, nimmt sich das fertige Teil und legt es auf eine bereitstehende Palette. Der Arm ist nicht menschlich, sondern aus Metall und gehört zu einem der drei Handling-Roboter, die das Unternehmen Kurmann Zerspanungstechnik 2017 installiert hat.

Der Blick hinter die Kulissen Wie die Digitalisierung die Unternehmen verändert, zeigt Mareike Lange

Sie sind für die Bestückung der Zerspanungsmaschinen zuständig und haben sich bereits jetzt bewährt. „Seit ihrem Einsatz konnten wir eine merkliche Umsatzsteigerung feststellen und unsere Produktionsprozesse wesentlich effizienter gestalten", stellt Geschäftsführer Franz Kurmann fest.

Der gebürtige Böseler hat viel von der Welt gesehen, bevor er 1990 zum Gründer eines Unternehmens wurde, das heute deutschlandweit als eines der modernsten in der Metallbearbeitung gilt. Als Maschinenbaumeister war er auf Montage unter anderem in Irak, Ägypten und Papua-Neuguinea und hat sich die Offenheit für neue Einflüsse bewahrt. Bereits Ende der 1980er Jahre befasste er sich mit dem Einsatz von Computern für Werkzeugmaschinen – der Einzug der Roboter in die Produktions­hallen in Garrel ist der vorläufige Höhepunkt.

Nichts ist im Wirtschaftsleben noch so, wie es mal war. Auch nicht im Oldenburger Münster­land. Die Digitalisierung hat schon ­vieles verändert – und ihre Möglichkeiten stoßen weiterhin auf großes Interesse. Das bewiesen nicht zuletzt die über 120 Gäste aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Öffentlichkeit, die im Mai 2018 am Auftakt der Veranstaltungsreihe „smart life – smart work" der Universität Vechta teilnahmen.

„Die Digitalisierung mit ihren technischen und technologischen Veränderungen wird unser aller Leben beeinflussen, im Privaten genauso wie in Arbeitskontexten", machte Universitätspräsident Prof. Dr. Burghart Schmidt deutlich. „In diesem Sinne sehen wir an der Universität Vechta Digitalisierung als Querschnittsthema, das viele Disziplinen berührt." Wichtig sei vor allem der Kontakt mit den Praktikerinnen und Praktikern, um die Bedarfe und Problemstellungen zu identifizieren und gemeinsam Lösungsstrategien zu erarbeiten. „Dabei soll ‚smart life – smart work' helfen: Wir wollen so unseren Beitrag dazu leisten, das Oldenburger Münsterland als smart region zu positionieren."

Höchste Präzision – So lautet das Motto der Firma Kurmann. Roboter helfen dabei.

Bei Kurmann in Garrel geht es darum, vom individuellen Bauteil bis zur Klein- oder Großserie höchste Präzision und Qualität zu liefern. Und eben auch: Produktion rund um die Uhr, ohne Pause oder krankheitsbedingte Ausfälle. Das Ergebnis wird international gewürdigt. So kommen die produzierten Teile auf der ­ganzen Welt zum Einsatz – ob in Mexiko oder China. Beliefert werden unterschiedliche Industriezweige, zu denen auch die Luft- und Raumfahrtindustrie zählen.

Mittlerweile kann das Unternehmen auf knapp drei Jahrzehnte Erfahrung zurück­blicken. Und auf entsprechend viele Veränderungen. Stillstand ist nicht vorgesehen – das Unternehmen plant bereits die Anschaffung weiterer Roboter. „Nach und nach sollen sie möglichst die gesamte Bestückung übernehmen", sagt Ina Kurmann, privat wie beruflich Partnerin von Franz Kurmann. Unverzichtbar seien Mitarbeiter deshalb noch lange nicht. Insbesondere hoch qualifizierte: „Die Maschinen müssen überwacht werden, dazu braucht es Personal mit Fachwissen."

Auch auf Feld und Acker ist die Digitalisierung längst Thema. Per Computersteuerung wird das Vieh gefüttert und Futter bestellt, per intelligenter Software die Fahrt des Mäh­dreschers flächenspezifisch angepasst, per Webcam live aus dem Stall an den Verbraucher gesendet. Laut einer Umfrage des Deutschen Bauernverbandes, die er gemeinsam mit dem Verband der digitalen Wirtschaft Bitkom Ende 2016 unter 521 landwirtschaftlichen Betrieben durchführte, nutzt jeder zweite Betrieb in Deutschland digitale Anwendungen.

Beispiel Grimme: Der Autopilot ist in Schleppern, Kartoffel- und Rübenrodern sowie anderen Erntemaschinen der beste Freund der Fahrer. Maschinen pflanzen die Kartoffeln dank einer digitalen Auftragskarte automatisch im Boden – und berücksichtigen dabei die Bodenqualität und den Abstand der Pflanzen. „Auch die Düngung kann per GPS-Ortung bedarfsgerecht ausgebracht werden", erklärt Norbert Bley von Grimme, Berater für die Sparte i-systems.

Intelligent – Per Software lassen sich sogar entfernte Stallungen steuern.

Auf eine komplett vernetzte Stalltechnik hat sich Prüllage Systeme spezialisiert. Der Holdorfer Agrarausrüster, gegründet vor knapp 30 Jahren von den Brüdern Heinz, Josef und Ludger Prüllage, automatisiert die ­komplette Farmtechnik – von der Fütterung über die ­Lüftung bis hin zu den Waagen für Tiere und Fahrzeuge. Alles wird zentral gesteuert, überwacht und ausgewertet. Sogar entfernte Stallungen lassen sich so kontrollieren: Ob Ventile, Abluftfilter und Förderbänder korrekt arbeiten, wird mit wenigen Klicks sichtbar.

Hähnchen oder Legehennen bekommen an einer Tränke nicht genug Wasser? Das wiederum signalisiert das Kontrollsystem von Big Dutchman sofort auf dem Bildschirm. Der Stallausrüster mit Hauptsitz in Vechta-­Calveslage bietet komplette Systeme samt Hard- und Soft­ware, mit denen sich unter anderem das Stallklima, die Fütterung sowie die Beleuchtung über Sensoren steuern lassen. Feuchte und Ammoniak­gehalt der Luft, die Temperatur – alles wird automatisch erfasst. Die Zahl der gelegten Eier und das Gewicht des Geflügels, der Futterverbrauch oder die Mortalität werden ebenfalls digital dokumentiert. So kann der Betrieb etwa erkennen, wie sich die Fütterung auf den Bestand auswirkt. In den Ställen wird sogar der Auf- und Untergang der Sonne simuliert, inklusive einer künstlichen Dämmerung. Licht sei wesentlicher Bestandteil einer artgerechten Tierhaltung und beeinflusse die Produktion positiv, lautet die einfache Rechnung von Big Dutchman. Die ausgefeilte Stalltechnik für die Schweine- und Geflügelhaltung ist nicht nur hierzulande gefragt, ein Großteil des Umsatzes macht Big Dutchman längst im Ausland. Niederlassungen gibt es in Brasilien, Russland, Malaysia oder China.

In Echtzeit – Tablets bilden Informationen etwa zu Produktionsprozessen ab.

Anders kommt die Digitalisierung bei Derby Cycle zum Tragen. „Im Gegensatz zur Autoindustrie sind die Möglichkeiten bei der Fahrradproduktion geringer", erklärt Firmen­sprecher Arne Sudhoff. „Hier wird noch viel manuell gemacht, etwa die Lackierung oder das Auftragen von Schriftzügen." Zwar nutzt das Unternehmen seit Kurzem ein modernes Informationssystem: Es scannt den Rahmen des Fahrrads ein und zeigt dem zuständigen Mitarbeiter über ein iPad Details zum Modell an, etwa welches Teil wo am Produkt montiert werden soll. „Das beeinflusst die Geschwindigkeit und Effizienz an den insgesamt zehn Produktionsbändern immens", weiß Sudhoff. Auch die Lagerhaltung sei weitestgehend digitalisiert. „Dennoch liegt bei uns der Fokus bei der Digitalisierung auf der Marketingstrategie."

Bestes Beispiel: der Vertrieb von Mountain­bikes der Marke Focus. Sie soll eine junge Zielgruppe ansprechen, die sich viel im Internet über Produkte informiert und dort auch kauft. Was das Web allerdings nicht bieten kann, sind Probefahrt, Beratung und ­Service vor Ort. Deshalb ist auf der Focus-Webseite ein sogenanntes „Click & Collect"-Modell eingebunden. Der Interessent kauft online ein Rad und lässt es zum Händler liefern, der es zusammenbaut und Ansprechpartner bei Fragen und Problemen ist. So werden On- und Offline-Welt bestmöglich miteinander verknüpft.

Laut Moritz Failenschmid, dem Focus-Brand-Manager, wird das Markenerlebnis durch das digitale Angebot aufgewertet, sogar „Premium". „Marketing funktioniert online einfach besser, weil wir es zielgruppengerechter gestalten und die Wahrnehmung der Marke genauer steuern können", erklärt er. „Kunden wollen digitale Wege in der Ansprache, sich unterhalten fühlen und emotional im Produkt wiederfinden." Abgebildet wird dieser Ansatz unter anderem durch geschicktes Storytelling. Genau ausgerichtete Marketing-Kampagnen pushen die Aktivitäten. Sieben Mitarbeiter sind bei Derby Cycle allein damit befasst.

Durch die Erfindung des E-Bikes setzt sich Deutschlands führender Fahrradhersteller bereits seit 2007 mit Digitalisierung auseinander, damals vor allem mit digitalen Datenströmen. Daneben stellt sich das Unternehmen die Frage, wie Digitalisierung die Produktion noch effizienter machen kann und blickt dabei vor allem zu Mitbewerbern in den Niederlanden und zur Autoindustrie. Sicher ist nach Meinung von Sprecher Arne Sudhoff: „Da ist noch viel Potenzial!"

Eher zurückhaltend zeigt sich hingegen bislang das Handwerk im Oldenburger Münster­land gegenüber den Möglichkeiten der Digitalisierung. Eine Umfrage der Kreishand­werkerschaft Cloppenburg bei Sanitär-, Heizungs-, Klima- und Elektrotechnikern brachte zutage, dass digitale Plattformmärkte für die Beschaffung und den Absatz für sie bislang nur eine geringe Rolle spielen. Hauptgeschäftsführer Dr. Michael Hoffschroer sieht in dieser Bewertung einen Ansporn, denn solchen Plattformen gehört die Zukunft. Sie könnten traditionelle Vertriebs- und Beschaffungswege in kurzer Zeit verdrängen.

Um die Handwerker für das Thema zu sensibilisieren, startete im Juli 2017 das „­Projekt SHK + Mehr", unterstützt durch Fördermittel des Bundes und des Europäischen Sozialfonds'. „In seiner dreijährigen Laufzeit befasst es sich mit den veränderten Anforderungen an die Qualifikation des Personals durch die Digitalisierung im Sanitär-, Heizungs- und Klimatechniker-Handwerk", verrät Projektkoordinator Jens Rigterink. Zurzeit wird ein Beratungs- und Unterstützungsangebot für Betriebe im Landkreis Cloppenburg entwickelt. „Wir organisieren nicht nur Informationsveranstaltungen, sondern entwickeln auch konkrete Werkzeuge, die unsere Mitgliedsunternehmen in ihrer täglichen Arbeit nutzen können, um den anstehenden Themen der Digitalisierung praxisorientiert zu begegnen", ergänzt Dr. Hoffschroer.

Deutlich wird: Die Unternehmen im Oldenburger Münsterland stellen sich den Herausforderungen der Digitalisierung. Viele Branchen sind bereits sehr weit, andere machen sich jetzt auf den Weg. Unsicherheiten weichen, Chancen werden erkannt, Lösungen entwickelt, Programme erarbeitet. Die Region zeigt sich auch hier auf der Höhe der Zeit.