Geheimnisvoll: Saterfriesisch

Europas kleinste Sprachinsel soll wachsen

Im nördlichen Landkreis Cloppenburg droht eine Heimatsprache auszusterben: das Saterfriesische. Zwei Lehrerinnen kämpfen dagegen an – auch weil sie wissen, dass Zweisprachigkeit für Kinder eine gute Sache ist.

Mathematik? Für viele Schulkinder ist das ein Graus. Und nun auch noch „Mathe ap Seeltersk"? Kein Problem, meint dagegen Ingeborg Remmers. Sie ist Lehrerin an der Litje Skoule Skäddel, der saterfriesischen Grundschule in Scharrel. Und sie ist mit großer Leidenschaft dabei, eine kurz vor dem Untergang stehende Regionalsprache zu retten.

Rund 1500 Menschen, alle wohnhaft im Seelterlound, der Gemeinde Saterland im nördlichen Landkreis Cloppenburg, sprechen Saterfriesisch. Es waren schon mal deutlich mehr. Die Sprache ist ein Dialekt des Friesischen, der mit niederdeutschen Elementen durchsetzt ist. Früher, als die Moore der Umgebung noch unüberwindbar schienen, hat sie sich hier entwickelt. Doch die Nachbarn rückten näher, sie brachten das Platt- und das Hochdeutsche mit. Und bald wurden Kinder nicht mehr in ihrer Regionalsprache erzogen.

LAND FÖRDERT REGIONALSPRACHEN

Ergebnis: Das Saterfriesische und die damit verbundene Tradition drohen auszusterben. Bereits 1991 wurde das Saterland als „kleinste Sprachinsel in Europa" im Guinness Buch der Rekorde aufgeführt. Mit dem traurigen Ende wollen sich Ingeborg Remmers aus Scharrel und Monika Olling von der Marienschule in Strücklingen nicht abfinden. Im Gegenteil: Sie bringen Saterfriesisch in die Grundschule. Und können dabei auf die Unterstützung des Landes Niedersachsen zählen. Mit dem Erlass „Die Region und ihre Sprache im Unterricht" unterstützt das Kultusministerium seit 2011 gezielt den Spracherwerb im Unterricht, auch finanziell. „Ein tolles Signal", lobt Monika Olling. „Das Land steht dahinter, die Regionalsprachen zu fördern."

MEHR ALS ÜBERSETZEN

„Kinder lernen anders als Erwachsene: Sie müssen nicht Wort für Wort übersetzen", erklärt Ingeborg Remmers, die selbst dreisprachig aufwuchs. „Ich fange so an, als ob niemand Saterfriesisch könnte. Man sagt etwas und begleitet das mit der Bewegung." Ein Beispiel: Wenn sie ihren Schülern auf Saterfriesisch sagt, sie sollen ein Buch aus der Tasche nehmen, dann greift sie selbst nach dem eigenen. „Kinder, die mich schon verstehen, machen sofort mit. Die anderen sehen, was zu tun ist." Sie bleibe konsequent bei einer Sprache, statt zwischen beiden zu wechseln, aber verwende nur wenige Worte, immer wieder die gleichen. Spätestens am übernächsten Tag kennen alle Schüler den Satz, so die Mathelehrerin. Die Materialen sind weiterhin hochdeutsch verfasst, nur der Unterricht nicht – und die Fachbegriffe werden zweisprachig verwendet.

Die vermeintliche Fremdsprache kommt bei den Kindern gut an – auch, weil sie ein Alleinstellungsmerkmal an der Schule und darüber hinaus darstellt: „Oft sagen sie, wir haben eine Geheimsprache!", erzählt die Lehrerin lachend. Und wer hat schon ein eigenes Maskottchen wie den Seelterfoaks, der die eigene Geheimsprache erklärt?

LERNEN DURCH HÖREN

Ingeborg Remmers ist überzeugt, dass Zweisprachigkeit den Kindern einen enormen Bildungsvorteil verschafft – unabhängig davon, welche Sprache unterrichtet wird. Bis zum Alter von etwa acht Jahren lernen Kinder eine Zweit- wie die Erstsprache: durch das Hören. Das Saterfriesische muss also gar nicht extra unterrichtet werden, sagt Monika Olling, sondern „läuft so mit", im Religions- genau wie im Mathematikunterricht.

Die Schulleiterin aus Strücklingen engagiert sich für Sprachbegegnungen in Arbeitsgemeinschaften. Gemeinsam mit Ingeborg Remmers hat sie Anfang der 1990er Jahre die ersten Saterfriesisch-AGs geplant. „Damals gab es überhaupt keine Materialien dafür, kein einziges Arbeitsblatt." Tagelang haben sie in den Ferien über den Materialien gesessen, Illustrationen kopiert, verkleinert, ausgeschnitten, aufgeklebt. Sehr mühsam waren diese ersten Jahre.

SPRACHE SCHAFFT IDENTITÄT

Warum tut man sich das an? Für Ingeborg Remmers ist das Saterfriesische ein wertvolles Kulturgut: „Das ist ja meine eigene Sprache. Sie gehört zu mir, zu meiner Identität und natürlich auch zur Identität aller Saterländer." Monika Olling sieht es ganz ähnlich: „Für mich hat das Saterfriesische einen großen Wert. Es ist meine Muttersprache, in der ich mich zu Hause fühle." Und: „Wenn man Leute trifft, die Saterfriesisch sprechen, spürt man eine besondere Verbundenheit."

Und die Arbeit lohnt sich. Heute wird Saterfriesisch nicht nur in Kindergärten und Grundschulen, sondern auch an den weiterführenden Schulen angeboten. Die Theater-AG des Laurentius-Siemer-Gymnasiums in Ramsloh hat zum Beispiel ‚Die litje Prins' und ‚Momo' aufgeführt. Auf Saterfriesisch, klar. Inzwischen werden weitere Lehrer und Studenten in der Sprache ausgebildet. Zudem verlängerte das Kultusministerum in Hannover seinen Erlass bis 2018. Danach soll er erneuert werden. Ingeborg Remmers hofft, dass das noch einmal einen weiteren Schub für das Saterfriesische geben wird. Damit noch viele Kinder „Mathe ap Seeltersk" lernen können.