Emstek. Ob Arztrezept, Steuererklärung oder Autokauf - in Estland werden die relevanten Daten auf einer ID-Karte gespeichert und online transportiert. Die Republik im Baltikum gilt als Vorbild in Sachen Digitalisierung. „Bis auf Hochzeit, Scheidung und Immobilienkauf können sämtliche Behördenakte über die ID-Karte abgewickelt werden", beschreibt Christoph Eichhorn die Kommunikation mit öffentlichen Verwaltungen. Eichhorn war von 2015 bis 2019 deutscher Botschafter in Estland und weiß von „mehr als 3000 Services, die man dort von zu Hause aus bei Ämtern erledigen kann".
„Von den (B)Esten lernen" - unter dieser Überschrift hatte der Verein Die Familienunternehmer kürzlich in den ecopark eingeladen. Gut 50 Gäste erlebten in den Räumen der Phoenix Fire Protect Development GmbH einen informativen wie auch unterhaltsamen Vortrag von Christoph Eichhorn, der aus seinem damaligen Alltag in Estland berichtete. Bereits vor 20 Jahren nutzen die Menschen dort die ID-Karte. „Und niemand kann sich mehr vorstellen, dass es anders sein könnte."
Warum der 1,3-Millionen-Einwohner-Staat so weit vorn ist bei der Digitalisierung? „Der wohl wichtigste Punkt war das pragmatische Rangehen, während wir Deutschen erst noch ein Gesamtkonzept brauchen", erklärt Diplomat Eichhorn, der mittlerweile die deutsche Botschaft in Bulgarien leitet. Weiterer Unterschied: „Die Entscheidungsträger waren damals zwischen 30 und 45 Jahre jung - und sie haben sich einfach was getraut." Esten probierten gern Dinge aus - „und wenn es so nicht geht, dann geht es anders".
Als wichtige Voraussetzung nennt Christoph Eichhorn die flächendeckende Versorgung mit Internet: „Selbst auf Autofahrten durch die entlegensten Ecken eines Nationalparks kann das estnische Fernsehprogramm ohne Aussetzer als Livestream auf dem Smartphone empfangen werden."
Wie es in Estland um den Datenschutz steht? „Dort verwalten die Bürger ihre Daten selbst", berichtet Botschafter Eichhorn. „Ich kann selbst rund um die Uhr online nachsehen, welche Daten etwa die Stadtverwaltung über mich gespeichert hat - und wer sie sich wann angeschaut hat." Jeder Missbrauch werde somit dokumentiert und mit heftigsten Strafen geahndet. „Das sorgt für ein Grundvertrauen."
Seine Empfehlung an Deutschland? „Wir müssen uns klarmachen, dass der Zug der Digitalisierung längst unterwegs ist. Wir müssen sofort aufspringen - und zwar nicht auf den letzten Wagen, sondern vorn auf die Lok." Dabei müsse die Debatte „sich lösen vom Killerargument Datenschutz". Fazit: „Wir müssen die Bürger einfach machen lassen und nicht vorher alles kaputt reden."
Der Verein Die Familienunternehmer folgt als politische Interessenvertretung für mehr als 180.000 Familienunternehmer den Werten Freiheit, Eigentum, Wettbewerb und Verantwortung. Die Familienunternehmer in Deutschland beschäftigen in allen Branchen rund acht Millionen Mitarbeiter und erwirtschaften jährlich einen Umsatz in Höhe von 1700 Milliarden Euro. Vorsitzender des Regionalkreises Weser-Ems ist Michael Wendt, geschäftsführender Gesellschafter der Wendt Maschinenbau GmbH & Co. KG in Georgsmarienhütte.