Wirtschaftsregion

VISTRA: Transformation im OM

18.02.2025
Autor: Prof. Dr. Karl Martin Born

Der Bericht des „Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen“ aus dem Jahre 2011 spricht von einer „großen Transformation“ und setzt diesen vorher überwiegend in der Wissenschaft genutzten Begriff auf die Agenda. Hintergrund ist die Erkenntnis, dass mehrere Megatrends des Erdsystems und der globalen Wirtschaft und Gesellschaft ein grundsätzliches Umdenken zu einer nachhaltigen Entwicklung notwendig machen. Diese Transformation muss auf allen Ebenen – also von lokal bis global – gedacht und umgesetzt werden.

Prof. Dr. Karl Martin Born Direktor des „Vechta Institute of Sustainability Transformation in Rural Areas“ (VISTRA).

Die Uni Vechta stellt seit 2019 Zukunftsfragen der Gesellschaft in den Mittelpunkt des eigenen wissenschaftliches Diskurses und folgt dem Leitbild der Hochschule in Verantwortung auf der Grundlage der 17 Ziele der nachhaltigen Entwicklung. Folgerichtig gründeten im Dezember 2021 sieben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Vechta Institute of Sustainability Transformation in Rural Areas (VISTRA) als eines von damals drei Forschungsinstituten der Universität Vechta.

Das VISTRA bündelt die vorhandenen Forschungsaktivitäten, fördert interdisziplinäre Forschung zum Schwerpunkt „Transformation in ländlichen Räumen“, initiiert interne sowie regionale, überregionale und internationale Forschungsprojekte mit nationalen und internationalen Partnern aus Wissenschaft, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft und fördert den wissenschaftlichen Nachwuchs. Die Mitglieder des Instituts erforschen inter- und transdisziplinär sowie auf verschiedenen räumlichen Maßstabsebenen und vor dem Leitbild der Nachhaltigkeit die verschiedenen Dimensionen und Dynamiken von Transformationsprozessen in ländlichen Räumen. Neben Grundlagenforschung spielen auch die anwendungsorientierte Forschung und ein strukturierter Wissenstransfer in Zusammenarbeit mit einem starken (über-)regionalen Partizipativ-Netzwerk und Akteuren aus Wissenschaft, Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Verwaltung eine maßgebliche Rolle. Das VISTRA weist in Niedersachsen und Deutschland mit seinem inter- und transdisziplinären Fokus auf ländliche Räume ein Alleinstellungsmerkmal auf.

Die Mitglieder des VISTRA – inzwischen auf 46 angewachsen – eint ein Verständnis von Transformation als die Summe umfassender und intensiver Wandlungsprozesse in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Wissenschaft, Bildung, Kultur und Umwelt. Die Herausforderungen in Transformationsprozessen sind die Komplexität und Unüberschaubarkeit: Die Teilprozesse verfolgen teilweise gleichwie gegenläufige Zielrichtungen, sind von synchron und asynchron verlaufenden Geschwindigkeiten geprägt und zeigen in räumlicher Hinsicht eine große Varianz.

Der Blick auf Transformationsprozesse erfordert also eine intensive Auseinandersetzung mit der thematischen Vielfalt; er muss immer systemisch sein, um die vielfältigen Wirkungen in einem komplexen Gefüge verstehen zu können. Wir gehen dabei davon aus, dass Systeme und Subsysteme in ihren sozio-technischen, sozialökologischen und ökologischen Ausprägungen eine wichtige Rolle spielen.

Neben der grundlagen- und anwendungsorientierten Forschung spielt die Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) als „Transmissionsriemen“ eine wichtige Rolle im VISTRA: BNE zielt darauf ab, Wissen, Fähigkeiten, Werte und Einstellungen zu vermitteln, die es den Menschen ermöglichen, nachhaltiges Denken und Handeln zu entwickeln. Sie trägt dazu bei, die Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 zu erreichen und unterstützt die Gestaltung einer nachhaltigen Gesellschaft in ländlichen Räumen.

In Vechta wendet sich die BNE sowohl an alle Schulformen als auch die Öffentlichkeit. Die von Mitgliedern des VISTRA entwickelten außerschulischen Lernorte (zum Beispiel der Eschpark in Kroge) sind hier auch Vermittlungsorte der Transformation.

Die Mitglieder des VISTRA haben bisher über 49 Forschungsprojekte mit einem Volumen von über 7,4 Millionen Euro eingeworben. Thematisch decken diese Projekte alle beteiligten Forschungsperspektiven ab; drei Projekte illustrieren unseren Ansatz.

Das mit europäischen Mitteln des INTERREG-Programms geförderte Projekt SIRR (Sustainability, Innovation and Resilience in Rural Areas) verbindet Partner aus ländlichen Räumen in Schweden, Dänemark, Frankreich und dem Oldenburger Münsterland. Ziel ist es, Innovationen, die Regionen nachhaltig und widerstandsfähig gestalten, durch die Einbeziehung unterschiedlicher Akteure zu stärken. So sind nicht nur Universitäten, sondern auch Landkreise, Kommunen und Wirtschaftsförderungen vor Ort direkt in das Projekt involviert. Ziel ist die Stärkung der Innovationskraft und die Transformation zu nachhaltigen und resilienten Praktiken im OM.

Das VISTRA fungiert dabei als wissenschaftlicher Partner zur Analyse und Begleitung der Regionalentwicklung, während die Gründungsinitiative TrENDi als Hub für Unternehmensgründungen und Innovationen dient, um das lokale Potenzial sichtbar zu machen und für einen attraktiven Lebens- und Arbeitsraum für alle Menschen auszuschöpfen.

Auf dem Hintergrund des sogenannten Multi-Helix-Modells sollen Wissen und Erfahrungen der beteiligten Kommunen und Landkreise zu Wettbewerbsfähigkeit, intelligenter Spezialisierung, lokalem Zusammenhalt und nachhaltiger Kreislaufwirtschaft ausgetauscht werden. Bisher wurden in zwei Erhebungsrunden die jeweiligen Netzwerke nach ihrer Zusammensetzung und Funktionalität untersucht.

Im Mittelpunkt eines zweiten, vom Bundeslandwirtschaftsministerium geförderten Projekts steht die Erprobung von Paludikulturen. Hierbei geht es um die Frage, wie wiedervernässte Moorflächen nachhaltig und klimaschonend agrar- und forstwirtschaftlich bewirtschaftet werden können.

Unter dem Titel „MOOSland demonstriert, diskutiert, implementiert: der Weg zur großflächigen Umsetzung von Torfmoos-Paludikultur als nachhaltige landwirtschaftliche Nutzung von Hochmoorböden“ befassen sich die Universitäten Vechta, Osnabrück und Greifswald zusammen mit den Landkreisen Diepholz und Ammerland mit der Einrichtung von Torfmooskulturen.

Der Beitrag des VISTRA besteht dabei darin, die spezifischen agrarstrukturellen Rahmenbedingungen zu identifizieren und dann auf der Basis empirischer Untersuchungen Handlungsempfehlungen zur großflächigen Implementierung von Paludikulturen zu entwickeln. Im Zuge des zehnjährigen Projekts soll zunächst eine webgestützte Informations-, Partizipations- und Vernetzungsplattform in den Modellregionen erstellt werden. Ein zweiter Schritt sieht dann nach umfangreichen Informationsgesprächen mit Landeigentümern und -bewirtschaftern, Kommunen und Landkreisen sowie mit weiteren Interessengruppen die Entwicklung eines multiparametrischen Gesamtmodells „Transformation zu Paludikulturen“ vor. Dieses Modell soll auf Basis der jeweiligen Agrarstruktur, planerischen und planungsrechtlichen Bedingungen, Akteurs-Stakeholder-Konstellationen und der Nachhaltigkeits- und Innovationsbereitschaft Transformationspfade entwickeln. 

Zentral ist dabei die Frage der tatsächlichen Umsetzung: Wie kann man Flächeneigentümer dazu bewegen, Paludikulturen anzulegen oder wie kann es gelingen, transformationsaffine Flächeneigentümer an die Stellen zu setzen, an denen Paludikulturen eingerichtet werden können?

Das Forschungsprojekt Naturkulturelle Transformation in Niedersachsen. Gesellschaftliche Narrative und Bürger:innengeschichten im Dialog (NaTaN) sammelt individuelle und lokale Erfahrungen von Transformation in Niedersachsen. Ziel des Projektes ist ein besseres Verständnis davon, wie Bürger die Auswirkungen des Klimawandels vor Ort wahrnehmen und wie sie diese Veränderungen gestalten.

Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass sich der Klimawandel und seine Folgen in unserer Region längst im Alltag bemerkbar machen. Umweltveränderungen mit immer häufigeren Extremwetterereignissen und gesellschaftliche Bemühungen in Richtung Klimaneutralität führen in allen Sektoren der Wirtschaft zu großen Herausforderungen. Auch vertraute Kulturlandschaften wie der Harz oder das UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer leiden unter Extremwetter.

Die ländlichen Räume und die Städte müssen sich anpassen und resilient werden. Die Suche nach entsprechenden Lösungen umfasst alle Lebensbereiche und ist auch eine kulturelle Aufgabe, die Einstellungen, Werte, Lebensstile und Identitäten in Frage stellt. Im Forschungsprojekt werden dafür lokale Zeitungen, Fernsehsendungen und Umwelt-Dokumentarfilmen dahingehend analysiert, welche Veränderungen in Niedersachsen eine besondere Rolle spielen und die Menschen bewegen. Weiterhin werden Bürger in zwei Workshops animiert, ihre eigenen Geschichten vom Wandel und ihrem Verhältnis zur Umwelt zu erzählen.

Unter professioneller Anleitung entstehen gemeinsam mit den Kooperationspartnern, dem Landesmuseum Natur und Mensch Oldenburg und dem Wattenmeer Besucherzentrum Geschichten, Fotografien, Audiobotschaften oder kleine Filme, die bei Zustimmung in einer Ausstellung und online gezeigt werden. Als erstes Projekt dieser Art bringt NaTaN den Ansatz der „Citizen Humanities“ nach Niedersachsen. So werden neben den Erzählungen von Profis aus Journalismus, Wissenschaft und Kunst auch die Geschichten anderer Bürger in der öffentlichen Debatte sichtbar gemacht. NaTaN wird vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur als Zukunftsdiskurs-Projekt gefördert. Weitere Informationen finden sich unter www.uni-vechta.de/klimageschichten.

Diese Projekte verdeutlichen, dass sich das VISTRA als regionale Forschungseinheit versteht, die durch anwendungsorientierte Forschung und den Transfer (über-)regionaler Netzwerke Akteure aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft ansprechen möchte. Zu den Zielsetzungen gehört auch, einen Mehrwert in und für die Region und darüber hinaus zu schaffen. Somit steht es auch Anfragen nach Forschungskooperationen offen gegenüber.

Informationen und Kontaktmöglichkeiten zum VISTRA sind unter www.uni-vechta.de/vistra verfügbar.

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