Auch jobtechnisch. Christian Bitter ist seit 30 Jahren Überbringer der guten Nachricht. Als er 1994 im Rathaus von Vechta seine Werbeagentur anmeldet, sitzt im Reklamefernsehen noch die biedere Dauerwelle trotz Windstärke zehn.
Chrise-Kommunikation
Taff? Jupp, ist auch Christian, der bis dato festangestellte Familienvater. 30 Mark investiert er in sein Bitter-Business, so viel kostet die erste Amtshandlung. Es ist der 30. März 1994. „Denn man tau“, sagt die Formularfrau im Gewerbeamt, halb ermutigend, halb mitleidig. Was sie nicht ahnt: Irgendwie ist das auch gleich der passende Claim für die Agentur.
Christian Bitter, den eigentich alle nur Chrise nennen, macht fortan „man tau“. 32 Jahre ist er alt. Hat zuvor in Düsseldorf für American Express und Ford als Werbetexter gearbeitet. Als Schreibmaschine mit Schreibmaschine quasi. Und zuletzt den sicheren Job als Ressortleiter bei der Oldenburgischen Volkszeitung gekündigt. „Ich habe gemerkt, dass es eine kleine Agentur für den Mittelstand schlichtweg nicht gab“, sagt Chrise heute.
Großvieh macht schließlich auch Mist
Die Großen der Branche entwickeln zu der Zeit musikalische Werbung für eine Burger-Kette („Einfach gut“). Chrise fängt ganz vorne an … in der Lieferkette: bei den Gallowayrindern von Graf von Merveldt. Die brauchen damals ein neues Logo. „Logo, kann ich!“, sagt Chrise. Großvieh macht schließlich auch Mist. Die Kundschaft steht Schlange. Und was macht der kreative Werber daher: Erstmal einen Leitz-Ordner anlegen. Kundenmanagement ist ja auch wichtig.
Reklame-Revoluzzer mit Ordner-Drang
Sein Büro ist zu Hause, zwischen Frau und Kindern. Die räumliche Vereinbarkeit von Familie und Beruf gelingt so lala. Für 2.900 Mark kauft sich der Reklame-Revoluzzer einen Macintosh-Computer mit Neun-Zoll-Bildschirm. Dazu einen Laser-Drucker für 4.000 Mark. Und natürlich ein Fax-Gerät nebst Leitz-Locher. Bei Bitter klopft Malermeister Mönnig an, der seinen Handwerkerbus neu bekleben lassen will. Ein gewisser Stefan Niemeyer braucht Ideen-Futter für seine Futter-Firma Miavit. Und Thomas Roess vermarktet Rollrasen an Wüstenscheichs mithilfe von Bitters Büro. Die Chrise-Kommunikation füllt eine Marketing-Marktlücke. Geschäftsleute aus dem Oldenburger Münsterland sind froh, fortan nicht mehr extra eine teure Agentur in Bremen oder Hamburg anheuern zu müssen für eine Anzeige in der Lokalzeitung.
Bitter liefert flott und, sehr wichtig in Vechta und umzu, versteht die Menschen der Region. Sollen die in Berlin mal schön auf hippen Events networken, in Vechta trifft man sich zum, nun ja, Nett-Working bei Bier und Korn auf dem Stoppelmarkt.
Nach ein paar Monaten zieht die Agentur an den heutigen Standort, ins Kathmann-Haus nach Vechta-Calveslage. Zuerst noch nicht in den feudalen Eiche-Rustikal-Trakt, sondern in den Bereich Kirsche künstlich. Egal, alles besser als die Garagen anderer Start-ups.
Bitter is always irgendwie better, würde vielleicht eine dieser denglischen Werbetempel aus der Großstadt dichten. Aber das wäre natürlich Quatsch. Bitter war und ist vor allem eines: bodenständig. Statt Kicker steht bis heute ein Schlagzeug in der Agentur. Dans op de Deel statt versnobte Werber-Bundesliga!
Zugegeben, irgendwann reicht es auch in Calveslage nicht mehr mit Hoch- und Plattdeutsch. Als ein Kunde einen französischen Text braucht, verdoppelt Christian Bitter kurzerhand das Personal seiner Agentur. Sprich: Er heuert einen ersten Mitarbeiter an. Das ist ein halbes Jahr nach Gründung.
An Bord kommt nicht irgendwer, sondern Rachid Ameziane. Dessen Geschichte ist spektakulärer als die vom Marlboro- und Melitta-Mann zusammen. Der Marokkaner hat sich in Boston, USA, in eine Buchhändlerin aus Lohne verliebt. Und lebt nun mit Frau und Mac im Oldenburger Münsterland. Von Casablanca nach Calveslage – warum auch nicht. In der Tasche hat er einen Masterabschluss in Grafik-Design. Zudem spricht er fließend Englisch, Französisch und beherrscht arabische Schriftzeichen. Rachid erweist sich als ebenso professionell wie pragmatisch. Als mal von heute auf morgen eine Stellenanzeige für das „Deutsche Frühstücksei“ in die Lokalzeitung soll, druckt er sie kurzerhand in höchster Qualität auf dem Tintenstrahldrucker aus und fährt persönlich zum Verlag. Dort wird das Pamphlet dann mit der Repro-Kamera abfotografiert und gedruckt. Geht doch …
Datenübertragung mit dem Opel Corsa B
Die Aufträge werden größer, der Weg bleibt analog. Druckvorlagen für Broschüren bringt das Duo, auf sechs 3,5-Zoll-Disketten verteilt, im Opel Corsa B in die Druckerei. Datenübertragung mit Dreizylinder. „Das war wohl der einzige Corsa mit Automatik und Autotelefon“, sagt Christian Bitter. 16.000 Mark teuer, er weiß es bis heute. Für einen
Opel Bitter hat es damals wohl noch nicht gereicht …
Einmal erfindet die Agentur sogar das Ei neu. Die Firma Ovobest, Hersteller von Flüssig-Vollei, Flüssig-Eiweiß und Flüssig-Eigelb, braucht eine neue, flüssig geschriebene Imagebroschüre. Eigentlich soll die der Eier-Praktikant machen, ein junger Mann namens Franz Schockemöhle. Aber der beauftragt kurzerhand die Agentur Bitter – und ist damit ein weiterer Steigbügelhalter für die Werber. Heute verkauft er selbige an Reiter. Die ersten Kataloge der Firma Schockemöhle Reitsport gestaltet ab 1996 natürlich auch die kleine Agentur in Calveslage, aber das nur am Rande.