Erste Anzeichen dafür lassen sich bereits am Zahlungsverhalten ablesen. Im Debitorenregister Deutschland analysiert Creditreform fortlaufend Rechnungsinformationen zu gut einer Million Unternehmen – und beobachtet aktuell, dass die Zahlungsmoral schwindet. Ganz gleich ob Kleinunternehmen, Mittelständler oder Großkonzern: Unternehmen aller Größenklassen ließen ihre Kreditgeber zuletzt länger und über das gesetzte Zahlungsziel hinaus auf den Geldeingang warten. Im ersten Halbjahr 2022 verzeichneten Rechnungsersteller einen durchschnittlichen Zahlungsverzug von 10,51 Tagen. Im ersten Halbjahr 2021 waren es lediglich 9,97 Tage. Als Reaktion darauf haben Rechnungsteller bereits begonnen, die Zahlungsziele zu verkürzen, sodass die durchschnittliche Forderungslaufzeit, also Zahlungsziel plus Zahlungsverzug, im Schnitt bei 29,80 Tagen lag und damit gut einen Tag kürzer war als mit 30,71 Tagen im zweiten Halbjahr 2021.
Im Oldenburger Münsterland beobachten wir ein Zahlungsverhalten, das stark von der jeweiligen Branche abhängt. In der Gastronomie etwa sind die Zahlungsüberfälligkeiten von März bis Juni 2022 von 23 auf 50 Tage extrem gestiegen, in der Metall- und Elektrobranche von 8 auf 11 Tage und bei unternehmensnahen Dienstleistungen von 11 auf 14 Tage. In anderen Bereichen wie dem Baugewerbe, dem Groß- und Einzelhandel, persönlichen Dienstleistungen, Verkehr und Logistik, stellt sich das Zahlungsverhalten noch als sehr stabil dar. Das ist für Betriebe besonders im Geschäft mit Unternehmenskunden wichtig zu wissen, denn nur so können sie ihre Zahlungsbedingungen weiter anpassen. Weitaus schwieriger einzuschätzen ist, wie die privaten Verbraucher sich verhalten werden, die ebenfalls ihr Geld zusammenhalten müssen, um steigende Strom- und Gasrechnungen zu begleichen. Gehen sie noch ins Restaurant? Kaufen sie ein neues Fahrrad oder leisten sie sich noch andere größere Anschaffungen?
Auch in einer Region mit einem starken Arbeitsmarkt wie dem Oldenburger Münsterland mit einer Arbeitslosenquote von nur 3,9 Prozent (im Vergleich zu 5,6 Prozent für Deutschland) können Inflation und steigende Kosten Existenzen bedrohen. Gleichwohl ist das in der Statistik noch nicht sichtbar. So verzeichnet Creditreform in den Landkreisen Cloppenburg und Vechta von Januar bis Juni 2022 insgesamt 191 Privatinsolvenzen (Cloppenburg 118, Vechta 73). Das sind 16,6 Prozent weniger als im ersten Halbjahr 2021 (Gesamt 229, Cloppenburg 124, Vechta 105). Das hohe Niveau im Vorjahr hat seine Ursache zum Teil allerdings darin, dass der Gesetzgeber seit Ende 2020 eine schnellere Restschuldbefreiung ermöglicht, weshalb sich in der Folge ein gewisser Privatinsolvenzrückstau aufgelöst hat.
Als weiterer Indikator für den privaten Konsum gilt das Konsumbarometer des Handelsverband Deutschland. Dieser Index basiert auf einer monatlichen Umfrage unter 1.600 Personen zur Anschaffungsneigung, Sparneigung, finanziellen Situation und weiteren konsumrelevanten Faktoren. Sein Wert liegt derzeit auf dem tiefsten Stand seit 2016, was für eine deutliche Konsumzurückhaltung spricht. Die Deutschen sparen, nicht nur bei größeren Anschaffungen, sondern bereits im Alltag. Der private Konsum werde im weiteren Verlauf des Jahres als Konjunkturmotor in Deutschland ausfallen, warnen Experten des Ifo-Instituts. Diese Einschätzung sollte Unternehmen ebenso alarmieren, wie die zuvor genannten Wirtschaftsfaktoren. Wobei Hoffnung macht, dass die Unternehmen im Oldenburger Münsterland sich bereits in den vergangenen zwei Jahren als resilient und flexibel im Umgang mit Krisen und veränderten Rahmenbedingungen gezeigt haben. Viele haben die Zeit zudem genutzt, um sich und ihr Geschäftsmodell nachhaltiger aufzustellen. Sei es durch Investitionen in erneuerbare Energien und Energieeffizienz oder durch die Umstellung ihrer Produktion auf nachhaltigere Rohstoffe. Die starke Kunststoffbranche rund um Lohne etwa setzt vermehrt auf Rezyklate aus Verpackungsmüll.
Alles in allem ist die Region gut aufgestellt, um durch den Winter und die für das kommende Jahr erwartete Rezession zu kommen. Ganz ohne, dass Unternehmen aus dem Wirtschaftsleben ausscheiden, wird es aber auch im Oldenburger Münsterland nicht gehen. Denn neben steigenden Energiekosten und sinkender Konsumlaune kündigt sich ein dritter Belastungsfaktor an: höhere Finanzierungskosten. Eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung Kearney zeigt, dass vor allem im Mittelstand eine Reihe von Unternehmen durch die historisch niedrigen Zinsen am Leben gehalten wurde. Wird der Zugang zu Kapital schlechter oder teurer, so die Berater, können diese sogenannten Zombie-Unternehmen ihre Zinslast nicht mehr aus dem operativen Geschäft decken und schließlich ausfallen. Auch der Verband der Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands geht bundesweit von einer deutlichen Zunahme der Unternehmensinsolvenzen in den kommenden zwölf Monaten um bis zu 40 Prozent aus. Das deckt sich mit der Prognose der Creditreform Wirtschaftsforschung.
Zur Einordnung sei allerdings gesagt: Angesichts der historisch niedrigen Basis ist dies keine Insolvenzwelle, sondern eher eine fällige Normalisierung. Denn auch die Pleite gehört zu einer funktionierenden Marktwirtschaft. Und nicht jeder Insolvenzantrag bedeutet das Ende eines Unternehmens. Vielmehr kann er mit den heutigen Instrumenten auch dabei helfen, Firmen zu entschulden und wieder zukunftsfähig zu machen.