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Wo stehen Unternehmen im OM?

24.02.2023
Autor: Jens Christian Renken

Das Insolvenzgeschehen im Oldenburger Münsterland ist noch gering. Viele Betriebe sind dank guter Eigenkapitalstruktur und konsequentem Liquiditätsmanagement gut durch die vergangenen zwei Corona-Jahre gekommen. Doch mit der Energiepreisexplosion, Lieferkettenschwierigkeiten und der weiter steigenden Inflation stehen sie vor weitaus größeren Herausforderungen analysiert Jens Christian Renken, Gebietsverkaufsleiter im Oldenburger Münsterland und Certified Business Analyst bei Creditreform Bremen.

Jens Christian Renken, Gebietsverkaufsleiter im Oldenburger Münsterland und Certified Business Analyst® der Creditreform Bremen Dahlke KG.

Das Insolvenzgeschehen im Oldenburger Münsterland ist noch gering. Viele Betriebe sind dank guter Eigenkapitalstruktur und konsequentem Liquiditätsmanagement gut durch die vergangenen zwei Corona-Jahre gekommen. Doch mit der Energiepreisexplosion, Lieferkettenschwierigkeiten und der weiter steigenden Inflation stehen sie vor weitaus größeren Herausforderungen analysiert Jens Christian Renken, Gebietsverkaufsleiter im Oldenburger Münsterland und Certifi›ed Business Analyst bei Creditreform Bremen.

Vordergründig klingt es wie eine gute Nachricht: Der Auftragsbestand der deutschen Industrie steigt, meldete Mitte September das Statistische Bundesamt (Destatis). 0,7 Prozent mehr Aufträge als im Vormonat zählte das verarbeitende Gewerbe. Im Vergleich zum Vorjahr war der Auftragsbestand sogar 12,6 Prozent höher. Damit habe er einen Rekordwert seit Beginn der Erfassung im Jahr 2015 erreicht, melden die Statistiker. Das klingt so gar nicht nach Energiekrise, Lieferschwierigkeiten und Inflation. Oder etwa doch? „Neben hohen Energiekosten für die Industriebetriebe führt die anhaltende Knappheit an Vorprodukten nach wie vor zu Problemen beim Abarbeiten der Aufträge“, heißt es weiter in dem Destatis-Bericht. Sprich: Der Rekord ist eher ein Stau. Ihn aufzulösen stellt viele Unternehmen derzeit vor große Herausforderungen.

Laut dem ifo Institut für Wirtschaftsforschung waren im Juli 2022 73,3 Prozent der Industrieunternehmen von Engpässen und Problemen bei der Beschaffung betroffen. Dabei bilden die Unternehmen im Oldenburger Münsterland, in einer der wirtschaftsstärksten Regionen Deutschlands, keine Ausnahme. Auch sie benötigen Vorprodukte und Rohstoffe, ebenso wie kalkulierbare Energiekosten. Das starke Cluster der Kunststoffverarbeiter rund um Cloppenburg und Vechta etwa verbraucht nach eigenen Angaben rund 300 Millionen Kilowattstunden Strom pro Jahr und sieht sich derzeit mit hohen Zusatzkosten konfrontiert. Ebenso spüren die Agrar- und Ernährungswirtschaft sowie die starke Agrartechnologie die immer schwieriger werdenden
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.

Die gute Nachricht lautet: Noch halten die Unternehmen im Oldenburger Münsterland dem Druck stand. Sie pro›fitieren dabei von ihrer in der Regel guten Eigenkapitalausstattung und ihrer mittelständischen Struktur. Mit lediglich 37 Insolvenzen im ersten Halbjahr 2022 bewegt sich das Insolvenzgeschehen in etwa auf dem Niveau des Jahres 2020. Das Jahr 2021 eignet sich nur bedingt als Referenz, denn durch die umfangreichen staatlichen Corona-Hilfen und gesetzlichen Regelungen zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ist das Insolvenzgeschehen in diesem Zeitraum als wirtschaftlicher Indikator nicht aussagekräftig.

Betroffen waren in den Landkreisen Cloppenburg und Vechta von Januar bis Juni 2022 vor allem Kleinst- (30) und Kleinunternehmen (7). Mit 17 Fällen konzentrierte sich das Insolvenzgeschehen dabei auf den Dienstleistungssektor. Deutlich weniger waren es im Baugewerbe (7), Handel (6) und verarbeitenden Gewerbe (4). Das deckt sich mit dem bundesweiten Trend, den die Creditreform Wirtschaftsforschung in ihrer aktuellen Analyse des bundesweiten Insolvenzgeschehens beobachtet. Für viele Kleinstunternehmen und Freiberufler waren die Rahmenbedingungen in der Coronakrise denkbar schlecht. Ihnen sind zum Teil ihre Geschäftsmodelle weggebrochen und die staatlichen Hilfen konnte kein Ersatz für nicht erwirtschaftete Umsätze sein. Prominente Fälle wie die zuletzt bekannt gewordenen Insolvenzen des Düsseldorfer Hygienepapierherstellers Hakle oder des Hamburger Schuhhändlers Görtz gibt es in den Landkreisen Cloppenburg und Vechta bisher nicht.

Um Entwarnung zu geben, ist es allerdings zu früh. Die Bundesbank prognostiziert in ihrem Monatsbericht von September eine spürbare konjunkturelle Talfahrt und eine Inflation von zehn Prozent. Auch Creditreform erwartet, dass sich die wirtschaftliche Lage für Unternehmen erheblich verschlechtert und die Zahl der Insolvenzen zunimmt, zumal es noch Nachlaufeffekte aus der Coronazeit gibt, in der das Insolvenzgeschehen durch staatliche Eingriffe bewusst niedrig gehalten wurde. Viele Unternehmen, die angeschlagen aus der Coronakrise kamen, müssen nun mit einem volatilen Umfeld umgehen, das von Inflation, explodierenden Energiepreisen, steigenden Zinsen, fehlenden Mitarbeitern und zerrissenen Lieferketten geprägt ist. Das wird nicht allen gelingen.

Das Bürogebäude der Creditreform Bremen Dahlke KG in der Bremer Contrescarpe am Wall.

Erste Anzeichen dafür lassen sich bereits am Zahlungsverhalten ablesen. Im Debitorenregister Deutschland analysiert Creditreform fortlaufend Rechnungsinformationen zu gut einer Million Unternehmen – und beobachtet aktuell, dass die Zahlungsmoral schwindet. Ganz gleich ob Kleinunternehmen, Mittelständler oder Großkonzern: Unternehmen aller Größenklassen ließen ihre Kreditgeber zuletzt länger und über das gesetzte Zahlungsziel hinaus auf den Geldeingang warten. Im ersten Halbjahr 2022 verzeichneten Rechnungsersteller einen durchschnittlichen Zahlungsverzug von 10,51 Tagen. Im ersten Halbjahr 2021 waren es lediglich 9,97 Tage. Als Reaktion darauf haben Rechnungsteller bereits begonnen, die Zahlungsziele zu verkürzen, sodass die durchschnittliche Forderungslaufzeit, also Zahlungsziel plus Zahlungsverzug, im Schnitt bei 29,80 Tagen lag und damit gut einen Tag kürzer war als mit 30,71 Tagen im zweiten Halbjahr 2021.

Im Oldenburger Münsterland beobachten wir ein Zahlungsverhalten, das stark von der jeweiligen Branche abhängt. In der Gastronomie etwa sind die Zahlungsüberfälligkeiten von März bis Juni 2022 von 23 auf 50 Tage extrem gestiegen, in der Metall- und Elektrobranche von 8 auf 11 Tage und bei unternehmensnahen Dienstleistungen von 11 auf 14 Tage. In anderen Bereichen wie dem Baugewerbe, dem Groß- und Einzelhandel, persönlichen Dienstleistungen, Verkehr und Logistik, stellt sich das Zahlungsverhalten noch als sehr stabil dar. Das ist für Betriebe besonders im Geschäft mit Unternehmenskunden wichtig zu wissen, denn nur so können sie ihre Zahlungsbedingungen weiter anpassen. Weitaus schwieriger einzuschätzen ist, wie die privaten Verbraucher sich verhalten werden, die ebenfalls ihr Geld zusammenhalten müssen, um steigende Strom- und Gasrechnungen zu begleichen. Gehen sie noch ins Restaurant? Kaufen sie ein neues Fahrrad oder leisten sie sich noch andere größere Anschaffungen?

Auch in einer Region mit einem starken Arbeitsmarkt wie dem Oldenburger Münsterland mit einer Arbeitslosenquote von nur 3,9 Prozent (im Vergleich zu 5,6 Prozent für Deutschland) können Inflation und steigende Kosten Existenzen bedrohen. Gleichwohl ist das in der Statistik noch nicht sichtbar. So verzeichnet Creditreform in den Landkreisen Cloppenburg und Vechta von Januar bis Juni 2022 insgesamt 191 Privatinsolvenzen (Cloppenburg 118, Vechta 73). Das sind 16,6 Prozent weniger als im ersten Halbjahr 2021 (Gesamt 229, Cloppenburg 124, Vechta 105). Das hohe Niveau im Vorjahr hat seine Ursache zum Teil allerdings darin, dass der Gesetzgeber seit Ende 2020 eine schnellere Restschuldbefreiung ermöglicht, weshalb sich in der Folge ein gewisser Privatinsolvenzrückstau aufgelöst hat.

Als weiterer Indikator für den privaten Konsum gilt das Konsumbarometer des Handelsverband Deutschland. Dieser Index basiert auf einer monatlichen Umfrage unter 1.600 Personen zur Anschaffungsneigung, Sparneigung, fi›nanziellen Situation und weiteren konsumrelevanten Faktoren. Sein Wert liegt derzeit auf dem tiefsten Stand seit 2016, was für eine deutliche Konsumzurückhaltung spricht. Die Deutschen sparen, nicht nur bei größeren Anschaffungen, sondern bereits im Alltag. Der private Konsum werde im weiteren Verlauf des Jahres als Konjunkturmotor in Deutschland ausfallen, warnen Experten des Ifo-Instituts. Diese Einschätzung sollte Unternehmen ebenso alarmieren, wie die zuvor genannten Wirtschaftsfaktoren. Wobei Hoffnung macht, dass die Unternehmen im Oldenburger Münsterland sich bereits in den vergangenen zwei Jahren als resilient und flexibel im Umgang mit Krisen und veränderten Rahmenbedingungen gezeigt haben. Viele haben die Zeit zudem genutzt, um sich und ihr Geschäftsmodell nachhaltiger aufzustellen. Sei es durch Investitionen in erneuerbare Energien und Energieef›fizienz oder durch die Umstellung ihrer Produktion auf nachhaltigere Rohstoffe. Die starke Kunststoffbranche rund um Lohne etwa setzt vermehrt auf Rezyklate aus Verpackungsmüll.

Alles in allem ist die Region gut aufgestellt, um durch den Winter und die für das kommende Jahr erwartete Rezession zu kommen. Ganz ohne, dass Unternehmen aus dem Wirtschaftsleben ausscheiden, wird es aber auch im Oldenburger Münsterland nicht gehen. Denn neben steigenden Energiekosten und sinkender Konsumlaune kündigt sich ein dritter Belastungsfaktor an: höhere Finanzierungskosten. Eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung Kearney zeigt, dass vor allem im Mittelstand eine Reihe von Unternehmen durch die historisch niedrigen Zinsen am Leben gehalten wurde. Wird der Zugang zu Kapital schlechter oder teurer, so die Berater, können diese sogenannten Zombie-Unternehmen ihre Zinslast nicht mehr aus dem operativen Geschäft decken und schließlich ausfallen. Auch der Verband der Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands geht bundesweit von einer deutlichen Zunahme der Unternehmensinsolvenzen in den kommenden zwölf Monaten um bis zu 40 Prozent aus. Das deckt sich mit der Prognose der Creditreform Wirtschaftsforschung.

Zur Einordnung sei allerdings gesagt: Angesichts der historisch niedrigen Basis ist dies keine Insolvenzwelle, sondern eher eine fällige Normalisierung. Denn auch die Pleite gehört zu einer funktionierenden Marktwirtschaft. Und nicht jeder Insolvenzantrag bedeutet das Ende eines Unternehmens. Vielmehr kann er mit den heutigen Instrumenten auch dabei helfen, Firmen zu entschulden und wieder zukunftsfähig zu machen.