Maschinen- und Anlagenbau

Boge kann auch Landtechnik

Autor*in: CORD WITKOWSKI

Die BOGE Rubber & Plastics Group gehört mit zu den größten Unternehmen im Oldenburger Münsterland. Insgesamt arbeiten mehr als 4.000 Mitarbeiter, davon rund 1.000 in Damme, für den Automobilzulieferer. Doch auch außerhalb der Automobilbranche kommen die BOGE-Technologien zum Einsatz – zum Beispiel in der Agrarindustrie. Dr. Stefan Loheide ist seit sieben Jahren Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung bei BOGE. Was steckt hinter der Symbiose BOGE und Agrar? Lesen Sie das Interview mit Dr. Loheide.

Die Landtechnik entwickelt sich immer weiter. Die BOGE Rubber & Plastics Group entwickelt gemeinsam mit den Kunden aus der Agrarindustrie innovative Lösungen.

Herr Loheide, das Kerngeschäft von BOGE ist die Automobilindustrie. Wie sieht die Diversifikation der Strategie konkret aus?

Dr. Loheide: Seit Jahrzehnten entwickelt und produziert die BOGE weltweit Komponenten zur Verbesserung des Komforts und zu Reduzierung der Geräuschausbreitung in Fahrwerk und Antriebsstrang für die Automobilindustrie. Ein weiterer Schwerpunkt sind Kunststoffbauteile zur Gewichtsreduzierung und Funktionsintegration. Zur Umsetzung sind eine Vielzahl von Kompetenzen notwendig, die im Einzelfall auch für andere Branchen spannend sein können. Ferner sehen wir Möglichkeiten, Lösungen, die in der Automobilindustrie aus technologischen oder finanziellen Gründen nicht hinreichend notwendig oder abbildbar sind, für andere Branchen zu erschließen. Ausgehend von der Automobilindustrie haben wir die Suchfelder wie beispielweise alternative Mobilitätsformen, Sport und Hobby sowie Health-Care beleuchtet. Dabei durften wir die Erfahrung sammeln, dass unsere Kompetenzen in anderen Branchen nicht die gleiche Bedeutung haben und andere Erwartungen formuliert wurden. In der Agrarindustrie haben wir allerdings Anforderungen vorgefunden, die wir aus der Automobilindustrie sehr gut kennen.

Warum ist die Agrarindustrie eine interessante Branche für BOGE?

Dr. Loheide: Die Agrar-Branche ist für uns von besonderem Interesse. Einerseits gleichen sich die Anforderungen an die Automobilindustrie an. Leichtbau wird auch hier, allerdings wegen der Bodenverdichtung, immer bedeutender, und auch der Fahrkomfort ist ein immer wichtigeres Kaufargument. Schaltbare und steuerbare Anwendungen sind ferner aufgrund der erheblich höheren Spreizung von Komfort auf dem Acker und Agilität und Sicherheit auf der Straße denkbar. Zudem ist die Agrarindustrie weit mehr als die Übertragung der Automobilfunktionalitäten auf Traktoren.

An allen selbstfahrenden Spritzen und Vollerntern gibt es Kabinen und deren Lagerung, die aus der Branche Nutzfahrzeuge bekannt sind. Auch Anbaugeräte zeigen darüber hinaus Vibrationen, die einen Einfluss aus den Komfort der Zugmaschine haben. Die Dämpfung von Schwingungen an Auslegern wird nicht nur von der Steifigkeit, sondern auch von den beteiligten Massen durch Leichtbau beeinflusst. Schließlich gibt es an Erntegeräten eine erhebliche Anzahl von Mobilhydraulik, die ihrerseits Geräusche verursachen und durch Antriebswellen störende Vibrationen einleiten, die entkoppelt werden können und müssen.

Dr. Stefan Loheide, Forschungs- und Entwicklungschef der BOGE Rubber & Plastics Group.   

Welche Technologien von BOGE können in der Landtechnik konkret zum Einsatz kommen?

Dr. Loheide: Hier steht uns ein ganzer Strauß an erprobten Technologien zur Verfügung. Bei der Entwicklung von Leichtbaukomponenten greifen wir nicht nur auf Kurzglasfasern bei Thermoplasten zurück. Auch Fasern mit einer Länge von mehreren Millimetern werden mit einer Konzentration von bis zu 60 Prozent verarbeitet. Dabei nutzen wir moderne Simulationsketten zur Berücksichtigung von Schrumpf und Verzug im Verarbeitungsprozess der Materialien mit anisotropen Eigenschaften. Bei weiter steigenden Festigkeitsforderungen kommen sogenannte Organobleche zum Einsatz. Dies sind Endlosfasern, die gewebt und mit Polyamid getränkt sind. Diese können schließlich mit UD-Tapes aus Kohlefaser punktuelle verstärkt werden. Ihre endgültige Form erhalten die Bauteile durch Anspritzen von Rippenfeldern und funktionsprägenden Konturen. Mit dieser Technologie, die bei der BOGE ihren Weg in die Massenproduktion gefunden hat, können ultraleichte Komponenten hergestellt werden.

Eine weitere Technologie ist die hydraulische Dämpfung. Diese wird immer dann eingesetzt, wenn schwingungsfähige Systeme aufgrund Ihrer Masse und elastischen Anbindung bei bestimmten Frequenzen in Resonanz gehen und störende Schwingungen erzeugen. Hier kann durch wenig Fluid eine erhebliche Verbesserung des dynamischen Verhaltens erzielt werden.

Was ist das Besondere an BOGE?

Dr. Loheide: Im Laufe der Jahre hat BOGE viele Lösungen für Herausforderungen unserer Kunden entwickelt. Zur Erweiterung des Komfortspektrums wurden neben konventionellen Gummi-Metall-Bauteilen für die Fahrwerk- und Aggregatelagerung hydraulisch dämpfende Lager entwickelt. Als auch diese an ihre Auslegungsgrenzen stießen, wurden sehr kostenbewusste Schaltbarkeiten sowohl der Dämpfung als auch der Lagersteifigkeit realisiert, um die Spreizung von Komfort auf der einen Seite und Sicherheit und Agilität auf der anderen zu erhöhen. Dies erfolgt über Ventile, die hydraulische Verbindungen zwischen Kammern freigaben und blockieren. Leichtbauforderungen des Kunden sind mit der Verarbeitung handelsüblicher Thermoplaste oft nur schwer oder nicht mehr umsetzbar. Um dem Kunden dennoch eine Alternative zu Metallen anbieten zu können, werden sogenannte Organobleche eingesetzt. Diese Gewebe bzw. Gelege aus Endlosglasfasern mit Thermoplast-Matrix ermöglichen wesentlich höhere Zugfestigkeiten als Kurzfaser-Materialien. Darüber hinaus führt eine Überbeanspruchung zu einer Verformung des Bauteils und nicht zu einem Bruch. Diese Eigenschaft macht es für sicherheitskritische Anwendungen besonders interessant.

BOGE-Kupplungen kommen bei Vollerntern zum Einsatz.   

Welche Produkte von BOGE werden bereits heute in der Landtechnik eingesetzt?

Dr. Loheide: Die Kabinenlager und die gewebeverstärkten, gummielastischen und nicht schaltbaren Elastomer-Kupplungen sind zwei gute Beispiele. Um störende Vibrationen und Geräusche in der Kabine zu verhindern, werden Komfortlagerungen entwickelt und eingesetzt, die ein Höchstmaß an Schallisolation bieten. BOGE-Kabinenlager tragen als spielfreie, elastische und schwingungsdämpfende Verbindung zwischen Rahmen und Kabine wesentlich zur Optimierung der Fahrdynamik, des Fahrkomforts und der Konditionserhaltung des Fahrers bei und beeinflussen das Noise-Vibration-Harshness-Verhalten (NVH) des Gesamtfahrzeugs maßgeblich.

Da die Abkopplung von Antrieben gegenüber Vibrationen und Resonanzen immer bedeutender wird, kommen immer mehr elastische BOGE-Kupplungen vor allem bei Vollerntern in der Landtechnik zum Einsatz. Unsere gewebeverstärkten, gummielastischen und nicht schaltbaren Elastomer-Kupplungen sind prädestiniert dafür, dass radiale, axiale sowie winklige Versätze von rotierenden Teilen ausgeglichen, Vibrationen im Antriebsstrang gedämpft und Lastspitzen minimiert werden. Dabei bietet BOGE Rubber & Plastics für alle Antriebe die passende Lösung. Unser hohes technisches Know-how bei fadenverstärkten Elastomer-Kupplungen und unser kompetentes Team ermöglichen wertige und individuelle Lösungen.

Um innovative Lösungen für die Landtechnikbranche zu entwickeln, ist das Zusammenspiel zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Verbänden erforderlich. Welche konkreten Projekte gibt es, an denen BOGE mit Hochschulen bzw. Verbänden zusammenarbeitet?

Dr. Loheide: Hier stehen wir erst am Anfang der Bildung von Netzwerken. Eine fruchtbare Maßnahme ist die Beteiligung am Agrotech Valley Forum, einem Verein der lokalen Hersteller von Agrarprodukten in unserer Region. In diesem Forum sind ferner Hochschulpartner aktiv, die wir bereits von gemeinsamen Projekten aus der Automobilindustrie her kennen. So sind wir gleich in eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Prof. Dr. Christian Schäfers, Leiter des Labors für Karosserientwicklung und -konstruktion, eingestiegen. Diese neue Arbeitsgruppe hat das Ziel, gemeinsam Potenziale zur Gewichtsreduzierung zu finden. Hierbei rücken auch Produktionstechnologien wie die additive Fertigung in den Fokus, die bei erheblich höheren Stückzahlen wie in der Automobilindustrie schwierig abzubilden ist. Mögliche Potenziale mit dieser Technologie sind Leichtbaukompetenzen sowie die Funktionsintegration.

Einsatz in der Landtechnik: Die Kabinenlager von BOGE sorgen für bessere Fahrdynamik und mehr Fahrkomfort.    

BOGE bezeichnet sich als Full-Service-Entwicklungslieferant. Was bedeutet dies konkret für potenzielle Kunden der Landtechnik?

Dr. Loheide: Grundsätzlich sind all unsere Technologien für die Automobilindustrie erprobt. Die Entwicklung aller Produkte wird durch eine erfahrene Simulation validiert, sodass wir bereits zu einer frühen Entwicklungsphase die Machbarkeit bestätigen können. Zur Absicherung stehen weltweit einheitlich aufgebaute Prototypenabteilungen und Prüfstände zur Verfügung. So entstehen Produkte, die die Kundenerwartungen nachweislich erfüllen. Die Reproduzierbarkeit und Qualitätssicherung wird nicht zuletzt durch die Wareneingangskontrolle und Werkstoffcharakterisierung sichergestellt. Daher spielt die Werkstofftechnik eine entscheidende Rolle. Mit der Industrialisierung wird schließlich sichergestellt, dass die Bauteile an allen elf Produktionsstandorten weltweit mit einem hohen Automatisierungsgrad und hinreichend geringen Fertigungsschwankungen gefertigt werden können.

Digitalisierung spielt in der Agrarindustrie eine große Rolle? Wie kann BOGE hier die Landtechnikbranche unterstützen?

Dr. Loheide: In der Digitalisierung oder auch allgemein in der Integration von Elektronik zur automatisierten oder schließlich autonomen Bearbeitung von Ackerflächen zeigen sich viele Parallelen zu den Trends in der Automobilindustrie zur Elektromobilität, zur Konnektivität oder zum autonomen Fahren. Unser Beitrag auf diesen Gebieten sind Ansätze zur elektromagnetischen Abschirmung von Kunststoffgehäusen oder der Integration von Leiterbahnen. Eine weitere Überlegung geht in Richtung der Funktionsüberwachung und Erweiterung bei Gummi-Metall-Bauteilen. Hier tragen wir mit integrierten Sensoren und Ventilen zur Aktivierungen unserer Bauteile bei.

Einsatz in der Landtechnik: Die BOGE Rubber & Plastics Group kann beispielsweise die Querbrücke zur Stabilisierung der Hinterachsen und zur Lagerung des Hinterachsgetriebes auch in analoger Weise für die Agrartechnik nutzbar machen. Auffallend bei diesem Strukturbauteil ist die Hybridbauweise. Mit unterschiedlichen Werkstoffen werden Forderungen nach Leichtbau ebenso erfüllt wie die nach dem Überlastverhalten oder dem Übertragungsverhalten von Körperschall. Durch die integrierten Lagerstellen konnten weitere Anbindungskomponenten und auf diese Weise sowohl der Gewicht als auch Bauraum eingespart werden.

BOGE ist traditionell ein Automobilzulieferer und kennt die Anforderungen der Autoindustrie. Gibt es da Parallelen zur Landtechnik?

Dr. Loheide: Beide Branchen haben sich in den letzten Jahrzehnten weiterentwickelt und dabei ganz unterschiedliche Bedürfnisse befriedigt. Allerdings zeigt sich, dass allein unterschiedliche Stückzahlszenarien zu verschiedenen Möglichkeiten und Technologien führt. Ein besonders anschauliches Beispiel ist die Additive Fertigung. Diese ist stark stückzahlabhängig und begünstigt daher den Einsatz für Agrar-Anwendungen. Dass das autonome Fahren in der Landtechnik viel etablierter ist, liegt an der erheblich unterschiedlichen Komplexität der Aufgabe. Auf dem Acker gibt's weniger Gegenverkehr und auch weniger Radfahrer, die den Weg kreuzen. Dennoch ist der Entwicklungsstand der Autonomisierung in der Agrartechnik beeindruckend.

Herr Loheide, besten Dank, dass Sie unsere Fragen beantwortet haben.

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