Nachhaltige Kunststofftechnik

Die Zukunft gehört der Kreislaufwirtschaft

24.11.2022
Autor*in: Ruth Honkomp-Willenbring

Die deutsche Wirtschaft sieht sich am Wendepunkt von der linearen Wertschöpfung zur Kreislaufwirtschaft. Der im März 2020 vorgestellte Aktionsplan Kreislaufwirtschaft der EU-Kommission steht im Mittelpunkt des europäischen Grünen Deals, mit dem bis 2050 Klimaneutralität erreicht werden soll. Das Lohner Kunststoffunternehmen Pöppelmann hat die Ziele der Circular Economy ganz oben auf die eigene Agenda gesetzt – nicht nur in der Unternehmensstrategie, sondern vor allem auch im Arbeitsalltag.

Henk Gövert, Norbert Nobbe und Matthias Lesch (von links): stehen gemeinsam als Geschäftsführer an der Spitze des Lohner Kunststoffunternehmens Pöppelmann 

Pöppelmann ist ein Familienunternehmen mit über 70-jähriger Tradition, vier Divisionen (KAPSTO®, K-TECH®, TEKU®, FAMAC®), weltweit über 2500 Mitarbeitenden – und einer modernen Unternehmensphilosophie. Hier duzen sich alle, vom Geschäftsführer bis zum Auszubildenden. Im Intranet „PPInside" diskutieren sie über Digitalisierung, E-Mobilität und Plastikabfälle im gelben Sack. Womit wir schon beim Thema wären: Denn bei Pöppelmann gibt es Antworten auf die Frage, wie aus Kunststoffabfall wieder hochwertige neue Produkte werden können. Wer wissen will, wie es mit der Kreislaufwirtschaft wirklich funktionieren kann, erhält hier Auskunft aus erster Hand. „In der Branche gehören wir zu den Vorreitern für eine echte Kreislaufwirtschaft", positioniert Geschäftsführer Matthias Lesch den Lohner Kunststoffverarbeiter.

Erheblichen Anteil daran hat die strategische Initiative PÖPPELMANN blue®, gegründet Anfang 2018. Hier bündelt das Unternehmen sämtliche Aktivitäten zur Entwicklung von Produktkonzepten für die Kreislaufwirtschaft. Verankert sind sie in der Nachhaltigkeitsstrategie, die Pöppelmann im online veröffentlichten Nachhaltigkeitsbericht 2019 darlegt. Darin betonen die drei Geschäftsführer Norbert Nobbe, Matthias Lesch und Henk Gövert im gemeinsamen Statement: „Es ist unser Anspruch, die heutigen Marktanforderungen der Branche mit unserer Verantwortung für künftige Generationen in Einklang zu bringen."

Überhaupt spricht man bei Pöppelmann lieber von „Verantwortung" als von „Nachhaltigkeit"; das ist griffiger, konkreter. Die Bereitschaft, Verantwortung für die eigene Arbeit zu übernehmen, ist schließlich grundlegende Voraussetzung für nachhaltiges Wirtschaften. Eine Haltung, die den Blick in die Zukunft unweigerlich in Richtung Circular Economy lenkte. Und zwar ganz konkret. „Wir stellen uns tagtäglich der Aufgabe, die Wende von der linearen Wertschöpfung zur Kreislaufwirtschaft zu gestalten", sagt Geschäftsführer Lesch.

Ein großes Ziel. Welchen Beitrag dazu kann und will Pöppelmann leisten? Einen ersten Überblick gibt Benjamin Kampmann, Diplom-Ingenieur der Kunststofftechnik und im Innovationsmanagement des Unternehmens für alle Kolleginnen und Kollegen zentraler Ansprechpartner zu der Initiative PÖPPELMANN blue®. Die Aussicht aus dem Großraumbüro im Lohner Pöppelmann-Werk 3, seinem Arbeitsplatz, reicht bei gutem Wetter bis zum Fernmeldeturm in den Dammer Bergen. Das passt: Schließlich ist bei Lösungen für die Kreislaufwirtschaft Weitblick gefragt.

Kampmann erzählt, wie sich das Unternehmen auf den Weg machte. „2016 bekam ich den Auftrag, die Produktentwickler von TEKU® bei der Entwicklung eines Konzeptes für einen vollständig kreislauffähigen Pflanztopf zu unterstützen", erinnert er sich. Es habe sich damals angeboten, diesen neuen Ansatz in der Division TEKU® in den Fokus zu stellen. „Hier verfügten die Teams bereits über jahrzehntelange Erfahrungen mit der Verarbeitung von Rezyklaten. "Übrigens auch aus eigener Produktion: Seit 2013 recycelt Pöppelmann für den eigenen Bedarf Kunststoffe im Werk Holdorf, bis 2020 allerdings ausschließlich postindustrielle Rezyklate – kurz PIR. Mittlerweile liefert das Holdorfer Pöppelmann-Team auch Post- Consumer-Rezyklate (PCR) ins Werk 1.

Der Kunststoff für die Pflanztöpfe in der Farbe Circular blue kommt direkt aus dem Gelben Sack und landet dort auch wieder. Entwickelt wurde dieses mit dem Blauen Engel und dem RAL-Gütezeichen ausgezeichnete Produkt für den Gartenbau im Rahmen von PÖPPELMANN blue®, der Unternehmensinitiative für die Kreislaufwirtschaft.

Rezyklat, PIR und PCR: Fachbegriffe, die an dieser Stelle zum besseren Verständnis des echten Materialkreislaufes einen kleinen Exkurs notwendig machen. Ein schneller Überblick: Rezyklat ist der Sammelbegriff für verschiedene Arten von Kunststoffen, die aus dem Recycling stammen. Denn auch wenn „Re-cycling" wörtlich übersetzt in etwa „zurück in den Kreis" bedeutet, stammt nicht jedes Rezyklat aus einem Kreislauf. Entscheidend für die Kreislauffähigkeit des Materials ist die Herkunft der wiederverwerteten Kunststoffe. Also: Woraus wird das Rezyklat hergestellt? Aus Kunststoffverpackungen, die private Verbraucher im gelben Sack oder der gelben Tonne entsorgten? In diesem Fall handelt es sich um Post-Consumer-Rezyklate (PCR). Oder stammt das Material aus der Industrie? Und wenn von dort: Aus Produkten, die dort gebraucht und danach entsorgt wurden? Auch sie können als PCR zurück in den Kreislauf gebracht werden. Oder sind Produktionsreste, die das Werksgelände gar nicht verlassen haben und direkt wieder in die Produktion zurückfließen, gemeint? Dann ist die Rede von Post-Industrial-Rezyklate, kurz PIR.

Die Unterscheidung ist wichtig, sagt PÖPPELMANN blue®-Koordinator Kampmann: „Natürlich ist es wirtschaftlich und schont Ressourcen, in der Produktion PIR anstatt von Neuware einzusetzen. Mit Kreislaufwirtschaft hat das jedoch noch nichts zu tun. Denn der Materialkreislauf schließt sich nur durch die Wiederverwertung eines (Serien)-Produkts nach dessen Nutzung, möglichst auf gleicher oder höherer Wertschöpfungsstufe. Dies ist nur möglich mit Post-Consumer-Rezyklat, also PCR – hergestellt aus Material, das sowohl aus dem Dualen System als auch aus gewerblichen Abfallsammlungen stammen kann."

 

Die Herausforderung des Kunststoffrecyclings als Einstieg in den Materialkreislauf steckt also vor allem im gelben Sack. Die wertvollen Ressourcen, die darin zu finden sind, verwandeln sich allerdings nicht ohne weiteres in hochwertiges Material für ein zweites Produktleben. Modernste Technologie ist dazu gefragt, genauso wie innovatives Denken – und natürlich Kompetenz für Kunststoff.

Auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft steht jede Pöppelmann-Division vor ihren ganz eigenen Herausforderungen. Einen Meilenstein auf der Grundlage langjähriger Erfahrung und intensiver Weiterentwicklung bestehender Konzepte erreichte im Jahr 2020 die Division TEKU®, die zu den Marktführern in der Gartenbaubranche gehört: Die kreislauffähige und sowohl mit dem Blauen Engel als auch mit dem RAL-Gütezeichen der RAL-Gütegemeinschaft Rezyklate ausgezeichnete Produktlinie „Circular 360".

„Diese Pflanztöpfe werden zum großen Teil im materialsparenden und damit ressourcenschonenden Tiefziehverfahren aus mehr als 80 Prozent PCR-Material produziert", erklärt Sven Hoping, Globaler Vertriebsleiter TEKU®. Die technologische Herausforderung steckte dabei unter anderem auch im Design. „Doch mit Circular 360 können wir nun auch viele Farben in 100-prozentiger Kreislauf fähigkeit verfügbar machen. Damit haben wir im Markt einen neuen Maßstab gesetzt", sagt Hoping nicht ohne Stolz. Ein Erfolg, in dem viel Arbeit steckt. Umso mehr ärgern ihn die Green washing Kampagnen von Wettbewerbern: Da verschweigen die einen, dass ihr „Recyling"-Topf aus PIR hergestellt wird, während andere mit der Vorsilbe „Bio" falsche Erwartungen wecken.

Natürlich verfolgen Hoping und die TEKU®-Teams die Diskussion um Biokunststoffe aufmerksam. Auch bei TEKU® würden entsprechende Materialien durchaus auf den Prüfstand gestellt, sagt der Vertriebschef. Doch gibt er zu bedenken: „Die heutigen Biokunststoffe versprechen viel, aber halten in der Regel wenig."

In seinen Gesprächen auch zu diesem Thema setzt der Vertriebsleiter konsequent auf Transparenz und Glaubwürdigkeit. „Nur so können wir die Verbraucher vom Wert innovativer Produktkonzepte für den Materialkreislauf überzeugen. Was sie von uns erwarten, haben sie in einer von uns in Auftrag gegebenen Studie vor Augen geführt: Darin gaben 62 Prozent der Befragten an, echte Kreislaufprodukte zu bevorzugen."

 

Nachhaltige Produkte: Die Produkte von Pöppelmann KAPSTO® (links) schützen hochsensible Bauteile: Die Division will ein Projekt zur Rücknahme gebrauchter Kappen weiter ausbauen und möchte mit weiteren Kunden in die Kreislaufwirtschaft eintreten.

Die Universalverpackungen aus Post-Consumer-Material für geschlossene Rohstoffkreisläufe (rechts) überzeugten die Jury: Pöppelmann FAMAC® gehörte damit zu den Gewinnern des Deutschen Verpackungspreises 2019 in der Kategorie „Nachhaltigkeit".

Von der Initiative PÖPPELMANN blue® gehen stetig neue Impulse an die vier Geschäftsbereiche des Unternehmens aus. Die wegweisenden Entscheidungen trifft der Lenkungsausschuss der Initiative: Dem regelmäßig tagendem Gremium gehören Gesellschafterin und Beiratsvorsitzende Catherin Vitale, Gesellschafter und Beiratsmitglied Maximilian Forst, Beiratsmitglied Dr. Karlheinz Bourdon sowie die Geschäftsführer Norbert Nobbe und Matthias Lesch an – und natürlich die PÖPPELMANN blue®-Experten der Divisionen, die hier über ihre Arbeit und Ergebnisse berichten.

Zum Beispiel Frank Schockemöhle, Leiter Entwicklung K-TECH®. Seine Division produziert im Pöppelmann Werk 2 in Brockdorf Spritzgussteile für die Automobil- und Elektroindustrie sowie für den Bereich Maschinen- und Gerätebau. Seit Gründung von PÖPPELMANN blue® prüft Schockemöhles Team laufend die Umstellung verschiedener Bauteile auf PCR-Material. Mehrere Projekte konnten schon umgesetzt werden. Gerade bei den hier gefertigten hochkomplexen technischen K-TECH®-Teilen mit allerhöchsten Qualitätsanforderungen zeigt sich allerdings, wie hoch die Meßlatte für die Produktentwickler liegt. Schockemöhle: „Wir müssen alle technischen und qualitativen Anforderungen in jeder Hinsicht auch mit Rezyklat erfüllen können."

Unterdessen freut man sich 2020 bei KAPSTO® – sozusagen die Ursprungsdivision des Unternehmens – über die Auszeichnung mit dem Blauen Engel für Schutzelemente aus PCR. Thorsten Koldehoff, Globaler Vertriebsleiter der Division, berichtet zudem von einer erfolgreichen Kooperation mit einem namhaften Automobilzulieferer. Ziel ist es, hochwertiges Material für den Kreislauf zu sichern. „Der Kunde sammelt die gebrauchten Kappen, wir holen sie ab. Das Material wird zu PCR verarbeitet, wir produzieren daraus neue Schutzelemente." Koldehoff sieht großes Potenzial in diesem Projekt. „Um den Kreislauf in Schwung zu bringen, muss man irgendwo anfangen. Wir wollen dieses Modell weiter ausbauen. In Kundengesprächen erfahren wir immer wieder, dass wir mit dieser Initiative einen Nerv getroffen haben."

Diese Flexibilität, Eigeninitiative und nicht zuletzt Begeisterung zeigen sich in vielen Gesprächen bei Pöppelmann – so auch bei FAMAC®: Diese Division fertigt im Werk 3 an der Autobahnanschlussstelle Lohne/Dinklage technische Funktionsteile und Verpackungen für die Lebensmittel-, Pharma- und Kosmetikindustrie sowie für die Medizintechnik – Geschäftsbereiche, in denen PCR-Einsatz, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkt realisierbar ist. Grund sind die zu Recht hohen gesetzliche Auflagen für den Produkt- und Verbraucherschutz.

Diese Vorgaben haben auch für FAMAC®-Projektleiter Gerhard Brock höchste Priorität. Doch sieht er durchaus Spielraum. Die Rahmenbedingungen sollten dem technologischen Standard angepasst werden, wünscht er sich. „Politik und Behörden sind gefordert, gemeinsam mit allen Branchenbeteiligten auch für uns die Möglichkeiten des PCR-Einsatzes zu erhöhen." Das chemische Recycling sei aus seiner Sicht keine Alternative, sagt Brock und verweist auf die Energie-, Umwelt- und Schadstoffbilanz dieses Verfahrens, das auch vom Umweltbundesamt kritisch betrachtet werde. Und PÖPPELMANN blue®? Da konnte sich FAMAC® immerhin im Non-Food-Bereich mit Erfolg für den Materialkreislauf stark machen: Die Division ging mit Universalverpackungen aus Post-Consumer-Material an den Markt – und erhielt dafür 2019 den Deutschen Verpackungspreis in Gold.

Unternehmensweit sind die Ziele klar definiert. Als Unterzeichner des von der Ellen Mac Arthur Foundation initiierten New Plastics Economy Global Commitments wie auch der CircularPlasticAlliance der EU-Kommission sieht sich Pöppelmann in Sachen Kreislaufwirtschaft im weltweiten Bündnis mit Unternehmen, Organisationen und Verbänden. Geschäftsführer Matthias Lesch benennt die nächsten Etappen: „2025 sind alle von uns hergestellten Verpackungen zu 100 Prozent recyclingfähig. 2025 setzen wir mindestens 20 Prozent PCR-Rezyklat aus geschlossenen Materialkreisläufen in unserer Produktion ein. Und: 2025 decken wir insgesamt mehr als 60 Prozent unseres Materialbedarfs aus Rezyk laten, sowohl aus PCR als auch aus PIR."

 

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