Mit dem Bohrstock kennt Jonas von Höfen sich aus. Das hohle, unten spitz zulaufende Stahlrohr dient der Entnahme von Bodenproben. Dient? Nein, diente! „Zu mühselig und nicht mehr zeitgemäß", dachte sich der Landwirtssohn aus Ermke und begann an einer maschinellen Lösung zu tüfteln. 2013 war das erste Gerät einsatzbereit. Es fuhr übers Feld, stoppte kurz, zog per Druckluft eine Probe und zuckelte weiter. Eine echte Erleichterung.
Aber von Höfen war noch nicht zufrieden. Seine neueste Innovation heißt ED 18 und ist eine Maschine, die auf ein Trägerfahrzeug montiert wird und während der Fahrt Bodenproben ausstechen kann. „In unserem Betrieb nutzen wir umgebaute Suzuki-Geländewagen", sagt der 28-Jährige. Per GPS lässt sich das unbemannte Fahrzeug zentimetergenau an die gewünschte Stelle auf dem Acker manövrieren – wichtig vor allem, um aussagekräftige Vergleiche anstellen zu können.
Wo ein Problem ist, da kann die Lösung nicht weit sein. Getreu diesem Motto agieren viele Unternehmen im Oldenburger Münsterland. Und das nicht erst heute, sondern schon seit Jahrzehnten. Den Beweis liefert der Blick in das Patent- und Gebrauchsmusterregister beim Deutschen Patent- und Markenamt in München. Rund 60.000 Anmeldungen gibt es hier Jahr für Jahr, zwischen 70 und 100 kommen aus den Landkreisen Cloppenburg und Vechta. Klingt nach wenig? Von wegen: Bezogen auf die Einwohnerzahl liegt die Region damit nämlich sehr gut im Rennen. 30 Anmeldungen pro 100.000 Einwohner sind deutlich mehr, als das, was fast alle anderen niedersächsischen Landkreise, Bremen oder Rheinland-Pfalz, Berlin oder Schleswig-Holstein zu bieten haben.
Viele Erfinder holen sich Unterstützung bei Hermann Blanke, Innovationsberater beim Steinbeis-Transferzentrum Oldenburger Münsterland in Vechta. „Wir können in den meisten Fällen einschätzen, ob eine Idee realisierbar ist", unterstreicht er. Fördergelder hat Blanke nicht zu verteilen, Konzepte detailliert prüfen und weiterführende Tipps geben kann er hingegen schon.
So sprachen bei ihm vor einigen Jahren auch zwei junge Männer aus Lohne vor. Marcus Wichelmann und Sören Busse hatten während ihrer Schulzeit die Erfahrung gemacht, dass im Unterricht viel zu viele unterschiedliche Software-Anwendungen zum Einsatz kommen. Die Idee, dass jeder Schüler sein eigenes Tablet oder den gewohnten Laptop nutzt („Bring your own device") stieß hier an ihre Grenzen. So waren die Lehrer durch die verschiedenen Endgeräte und Betriebssysteme mit einer Vielzahl von Apps konfrontiert. „Die naheliegendste Lösung wäre es, Eltern vorzuschreiben, welches Gerät sie den Schülern mitgeben sollen", sagt Marcus Wichelmann. Keine gute Idee, denn so würden sich die Schulen von einem Hersteller abhängig machen und Zusatzkosten erzeugen. Stattdessen entwickelte er mit seinem Schulfreund Sören Busse eine Softwarelösung, die es möglich macht, Programme auf jedem Gerät gleich zu bedienen.
Das größte Problem der beiden war das Marketing", erinnert sich Hermann Blanke an die Gespräche mit Wichelmann und Busse. Es gab eine Menge Fragen. Was zeichnet die Mitbewerber aus und wie spricht man die Schulen an? Wer entscheidet dort überhaupt über Neuanschaffungen, was sagen die Lehrer, muss man sich auf Messen präsentieren? „Wir haben die richtigen Antworten gefunden", verrät Blanke. Heute wird das System, das bei Schülern unterschiedlichster Klassenstufen funktioniert, unter der Bezeichnung „Magis School" bundesweit angeboten.
Wie die Kleinen, so die Großen. Gerade Unternehmen von Rang und Namen können sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen, wenn sie nicht Schiffbruch erleiden wollen. Vielmehr gilt ein Prinzip, das einst Fußballtorwart Oliver Kahn zum geflügelten Wort machte: „Weiter, immer weiter!". Seit Jahrzehnten sei bekannt, sagt Alexander Osterwalder, einer der weltweit renommiertesten Innovationsberater, „dass Unternehmen gleichzeitig effizient und flexibel sein müssen". Doch inzwischen habe sich etwas Entscheidendes geändert: „Der Druck von außen ist viel höher, jetzt wirklich etwas zu verändern und neue Ideen zu entwickeln – weil ansonsten Geschäftsmodelle bedroht sind."
Dabei ist es nicht zwingend erforderlich, mit einer Idee der Erste zu sein. Soziale Netzwerke gab es schon vor Facebook, Auktionshäuser vor Ebay. Erfolgreich kann auch der zeitlich Zweite oder Dritte sein. Wenn das Konzept überzeugt und einen akuten Bedarf deckt.
Manchmal tut Zeit einem Vorhaben sogar ausgesprochen gut. Ein aktuelles Beispiel liefert Mondi aus Steinfeld. Vier Jahre lang haben die dortigen Kunststoffspezialisten an einer neuen, recyclingfähigen Einstoffverpackung aus Polyethylen geforscht. Offenbar kein einfaches Unterfangen. Zehn Beschäftigte waren extra dafür abgestellt – und brachten am Ende eine überzeugende und unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten stimmige Lösung zuwege. Der für Frosch entwickelte Nachfüllbeutel hat eine abnehmbare Banderole, besteht mit Ausgießöffnung, Deckel und Griff aus nur einem transparenten Material und lässt sich komplett wiederverwerten. Seit Ende vergangenen Jahres sind die Beutel im Handel, das Projekt mit dem Namen „StripPouch" konnte bereits mehrere Auszeichnungen einheimsen – etwa den „WorldStar Packaging Award 2020", der im Mai übergeben wird.
Stillstand ist Rückschritt. Dem will auch das Emsteker Unternehmen Derby Cycle entgegentreten. Deutschlands führender Fahrradhersteller hat im letzten Jahrzehnt sehr vom Boom der Elektrofahrräder profitiert und ihn kräftig befeuert. Aber: Was kommt nach den E-Bikes? Keine neue Mega-Entwicklung, so viel scheint klar. Stattdessen geht es um eine kontinuierliche Weiterentwicklung von Details. Unternehmenssprecher Arne Sudhoff sieht Potenzial etwa bei innovativen
Bremssystemen (ABS am Rad), neuen Lichtsystemen mit Fern- und Abblendlicht sowie bei einem Carbonriemen- statt Kettenantrieb. Sudhoff: „Es geht grundsätzlich darum, ein bestehendes Produkt besser zu machen und nicht, es neu zu erfinden." Daneben wird das Thema der Nutzung zunehmend an Bedeutung gewinnen. Dazu gehören vor allem die immer beliebter werdenden Dienstradleasing- und Sharinglösungen, bei denen kein Eigentum erworben wird.
Ganz neue Wege geht die BOGE Rubber & Plastics Group in Damme. Derzeit arbeiten für den Automobilzulieferer weltweit rund 250 Mitarbeiter in der Forschung und Entwicklung. Um die zukünftigen Herausforderungen der sich dynamisch verändernden Technologien und Märkte aktiv mitgestalten zu können, hat das Unternehmen gemeinsam mit seiner Muttergesellschaft, der CRRC New Material Technologies GmbH, ein sogenanntes Innovation Center im Wissenschaftspark direkt am Osnabrücker Hochschulcampus gegründet.Hier soll der Raum für neue Ideen geschaffen werden, um auch künftig innovative und wettbewerbsfähige Produkte und Systemlösungen anbieten zu können.
Bemerkenswert dabei: Im frisch eröffneten Innovation Center will BOGE den Fokus nicht nur auf den gewohnten Automotive-Markt legen, sondern auch weitere Bereiche ins Visier nehmen. Die intensive Vernetzung mit der Osnabrücker Hochschule, der Universität sowie diversen Start-ups bietet nach Unternehmensangaben „optimale Voraussetzungen für open innovation".
Innovationsführer – diesen ehrenvollen Titel darf nach einer Untersuchung des Prognos-Instituts auch Big Dutchman in Anspruch nehmen. Die Wirtschaftsforscher haben 33.000 deutsche Unternehmen auf ihre Innovationsfähigkeit hin untersucht und die 3.500 besten anschließend zu Innovationsführern gekürt. Dazu zählt auch der Stalleinrichter aus Vechta-Calveslage. Als Datenbasis für die Studie dienten die registrierten Patentaktivitäten im vergangenen Jahrzehnt.
Die ersten Patente hatte Big Dutchman vor 60 Jahren angemeldet. In den weltweiten Patentdatenbanken finden sich heute über 700 Patent- und Gebrauchsmusteranmeldungen, die auf etwa 300 Erfindungen zurückgehen. Etwa die Hälfte aller Erfindungen stammt aus dem neuen Jahrtausend. „Innovationen bringen unsere Kunden weiter. Daher haben Investitionen in zukunftsfähige Ausrüstungen Tradition bei Big Dutchman", freut sich Unternehmensvorstand Bernd Meerpohl über die Anerkennung.
Mit der Entwicklung neuartiger Stallkonzepte hat Big Dutchman zuletzt mehrfach auf sich aufmerksam gemacht. Die Verbindung aus Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit steht dabei im Vordergrund. Mit Dr. Ernesto Morales Kluge verantwortet seit März 2017 ein eigens dafür eingestellter Patentmanager die Forschung und Entwicklung in Calveslage. „In unserer Branche geht es bei Innovationen nicht nur um die Technik, sondern immer auch um die Bezahlbarkeit für unsere Zielgruppe, also die Landwirte", sagt Morales Kluge.
Das Thema Innovation wird im Oldenburger Münsterland also mit Ernsthaftigkeit und Verantwortungsgefühl angegangen. Und mitunter lohnt sich einfach genaues Hinschauen, wie Morales Kluge meint: „Auch wenn es manchmal auf den ersten Blick nicht den Anschein hat, versteckt sich hier und dort eine Erfindung." Man muss sie nur entdecken.