Wissenswertes übers Moor

Von Mensch und Moor

Moor – Zweifellos gibt es Landschaftsformen, die mit klangvolleren Namen gesegnet sind – und positiveren Assoziationen.

LANDSCHAFT IM WANDEL Mit der Wiederverwässerung beginnt die Renaturierung. Hochmoortypische Flora siedelt sich an. Die Regeneration dauert Jahrhunderte.

„Durch die Heide wandern" oder „in den Ferien ins Gebirge fahren" schlägt der Duden vor; „im Moor versinken" kann da nicht mithalten. Bis zur „Moorleiche" ist es nicht weit. Zugegeben, Entdeckerlust zu schüren ist auch nicht die Aufgabe des Wörterbuchs. Vielmehr dokumentiert es unseren Sprachgebrauch. Ist das Moor also selbst schuld? Sind diese Konnotationen nun mal unsere prägenden Erfahrungen? Oder ­haben wir einfach zu viel Anette von Droste-­Hülshoffs „O schaurig ist's übers Moor zu gehn" ­zitiert?

Schauen wir auf die Moorleichen. Fast jedes Naturkundemuseum stellt ein Exemplar aus. Generationen von Grundschulkindern können spontan sagen, ob sie „geguckt haben" oder zu jenen gehörten, die es schon beim Gedanken daran gegruselt hat. Oft bleibt das die einzige Erinnerung an den Schulausflug. Das ist schade, denn ohne das Moor wäre das Oldenburger Münsterland nicht das, was es heute ist. Zum Glück hat Museumspädagogik heute mehr zu bieten. In Elisabethfehn etwa darf man sich sogar neben die Moorleiche legen – ein nervenkitzelnder Spaß.

SCHICHTWEISE Torf ist nicht gleich Torf.

Das Urbarmachen der Moore hat Menschen wie Region über Generationen geprägt und Spuren hinterlassen. „Die vielen geraden Kanäle, die Ortsnamen, die auf „-fehn" enden – alles begründet durch die Urbarmachung", erklärt Antje Hoffmann, Leiterin des Moor- und Fehnmuseums in Elisabethfehn. „Das ist für Gäste spannend – junge „Moorsiedler" reisen bei uns in ihre Familiengeschichte." Und sie werfen einen Blick in die Zukunft einer Region, in der es lange notwendig war, selbst Tech­niken und Maschinen zu erfinden, um vom und mit dem Moor leben zu können.

Was bleibt vom Schulausflug ins Naturkundemuseum hängen? Die Moorleiche.

Wer das Moor bewirtschaftet, geht eine Symbiose mit ihm ein. Die ist nicht weniger ­innig als die der Küstenbewohner mit dem Meer oder der Gebirgsvölker mit ihren Bergen. Nur erschließen sich die Besonderheiten der ­Moore nicht auf den ersten Blick. Ein „erklärungs­bedürftiges Produkt", würden Marketingexperten sagen. Und eines mit einem Imageproblem. Grund genug, sich mit den Facetten von Moorlandschaften zu beschäftigen. Und endlich he­rauszufinden, warum die Eltern noch immer von Buchweizenpfannkuchen schwärmen.

HANDARBEIT Sode um Sode wurde einst von Hand gestochen, auf- und umgestapelt. Erst im Herbst kann trockener Torf gelagert oder verkauft werden.

Also mal etwas grundsätzlicher. ­Moore gibt es auf der ganzen Welt. In weiten Teilen Nordeuropas und im westsibirischen Tiefland sind sie ebenso zu finden wie im Hudson-Bay-Tiefland Nordamerikas oder in Neuseeland. Überall, wo über lange Zeit ein Wasserüberschuss besteht, können sie wachsen. Abgestorbene Pflanzenteile werden nicht abgebaut, sie bilden stattdessen Schicht um Schicht Torf. Sind die Ablagerungen mindestens 30 Zentimeter dick, sprechen Geologen vom „Moor". Nach der letzten Eiszeit, vor etwa 12.000 Jahren, ließen Schmelzwasser und Niederschläge den Grundwasserspiegel in unseren ­Breiten ­steigen. Senken und Niederungen standen dauerhaft unter Wasser – die Moore begannen zu wachsen.

Ein Torfbagger aus Elisabethfehn schaffte es bis zur Weltausstellung in Amerika.

MOORERLEBNIS Das Naturschutz- und Informationszentrum in Goldenstedt.

Niedersachsen ist das hochmoorreichste Bundesland Deutschlands. Von den insgesamt 203.000 Hektar sind noch 11.000 Hektar natürliche und naturnahe Hochmoore, die unter Schutz stehen. Der weitaus größte Teil wird seit Jahrhunderten land- und forstwirtschaftlich genutzt und ist Acker- oder Weideland. Dazu kommen sogenannte degradierte Hochmoore und wiedervernässte Flächen sowie Torfabbauflächen. Schnell wird klar: Moor ist nicht gleich Moor.

Zu den Schauermärchen rund ums Moor tragen die Nebelschwaden bei. Sie sind Ergebnis feuchten Klimas und starker Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht. Unproblematisch. Eine reale Gefahr ist dagegen das Versinken. Wer erst noch glaubt, über Moose und Gräser zu gehen, steckt schnell bis zur ­Hüfte im Hochmoor. Die Ursache: Torfmoose. Sie sind exzellente Wasserspeicher – 100 Gramm Hochmoor enthalten 96 Gramm Wasser. Die wurzellosen Pflanzen nehmen es in speziellen Zellen auf. Auch üppiger Bewuchs ist keine Garantie für festen Boden unter den Füßen. Feinde hat man früher ins Moor getrieben.

PEGEL Mitte des 19. Jahrhunderts war das Ostermoor acht Meter höher.

Dennoch existierte bereits vor 7.000 Jahren in Norddeutschland ein weit verzweigtes Wegenetz. Bis zu drei Meter lange Eichenbohlen – mal mit, mal ohne Unterbau – sicherten die Passage auch in frostfreien Zeiten. Die Wege waren noch lange von großer Bedeutung, wurden sogar bewacht. Die Reste der Römer­schanzen und die Dersaburg bei Damme ­zeugen davon.

Weil Moore konservieren, was in ihnen versinkt, sind sie reich an archäologisch-schaurigen Schätzen. Jahrtausendealte Moorleichen überraschen mit gut erhaltenen Haaren, Kleidern und Mänteln. Ohne Luftsauerstoff im sauren Hochmoorwasser eingeschlossen bleiben Haut, Haare und Leder erhalten. In den ­Museen der Region lassen sich zahlreiche Funde bestaunen.
Mönche begannen im frühen Mittelalter Moorflächen systematisch zu kultivieren. Auf die Brandkultur folgte die Fehnkultur nach niederländischem Vorbild. Und mit der Entwicklung des Mineraldüngers die deutsche Hochmoorkultur – zumindest für die, die es sich leisten konnten. Das Leben der Moorkolonisten war lange durch harte körperliche ­Arbeit geprägt. „Den Ersten sien Dod, den Tweeten sien Not, den Drütten sien Brod" heißt es nicht umsonst nebenan in Ostfriesland.

Der Prozess der Urbarmachung war langwierig. Anfangs wohnte man in Katen mit ­Wänden aus Torfbrocken und lebte vom Verkauf von Schwarztorf. Diese untere Moorschicht zu „ernten" und zu trocknen war eine mehrstufige Handarbeit. 12.000 Soden waren das Tagewerk zweier Männer. Das „Umstuken", das Umstapeln beim Trocknen, verrichteten meist Frauen und Kinder. Schwarztorf war begehrter Brennstoff in Ziegeleien und Fischräuchereien oder wurde zum Heizen genutzt.

BEHAUSUNG In den Moorkaten wohnten die Moorarbeiter lange Jahre.

War der Schwarztorf abgebaut, brachten die Moorbauern die zwischengelagerte Oberschicht aus Weißtorf vermischt mit Stallmist und dem sandigen Untergrund wieder auf den Flächen aus. Bis dieser fruchtbare Boden entstand, bauten sie vor allem anspruchslosen Buchweizen an – zum Verkauf und zum Verzehr. Etwa als „Bookweitenjanhinnerk", wie der Buchweizenpfannkuchen hier genannt wird. In regio­nalen Lokalen und Museumsbäckereien kann probiert werden, was für Großeltern nach Kindheit schmeckt. Das nussige, leicht bittere, kräftige Aroma ist indes nicht jedermanns Sache.

Not macht erfinderisch – Torf wurde nicht nur in Soden, sondern auch gepresst und gehäckselt verwendet. Schnell machten sich die arbeitserleichternden Maschinen aus der ­Region einen Namen. Der Brenntorfbagger von O. W. Strenge aus Elisabethfehn wurde sogar auf der Weltausstellung in Amerika ausgezeichnet.

Seit den 1970er Jahren stehen die naturnahen Hochmoore unter Naturschutz.

1855 ließ das Großherzogtum Oldenburg den Hunte-Ems-Kanal als Lebensader der geplanten Hochmoorkolonien bauen. Die wichtige Handelsroute für den Abtransport des Brenntorfs war zugleich Teil der Moorentwässerung. So entstand das bis heute sicht­bare Netz aus rechtwinklig verlaufenden Seiten­kanälen – und das Bootsbauwissen in der Region. Viele Moorkolonisten besaßen eher ein Schiff als ein Ziegeldach auf dem Haus. Wo früher Schiffstypen wie Spitzmutten, Tjalken und Poggen gefragt waren, werden heute Jachten, Spezialkräne oder – wie in Papenburg – Kreuzfahrtschiffe gebaut.

Überwegung Klappbrücke am Friesoyther Kanal.

Seit Mitte des letzten Jahrhunderts kommt Torf überwiegend in Kultursubstraten für Landwirtschaft und Gartenbau zum Einsatz. Pilzzucht, Gemüsejungpflanzen und Topfkultur etwa sind auf den gleichbleibenden Mix aus Torf und Zuschlagstoffen wie Kalk, Pflanzennährstoffe und etwa Holzfasern angewiesen. Und ein weiterer Wandel steht bevor. Ziel in Niedersachsen ist es, den Torfanteil stetig zu reduzieren. Professionell nutzbaren Ersatz gibt es noch nicht. Getestet werden viele Materialien, auch Versuchs­flächen mit „frischem" Torfmoos zählen dazu.

Fehnkultur, die deutsche Hochmoorkultur, Sandmischkultur und industrieller Torfabbau – all das hat Spuren im Bodenaufbau hinterlassen. Bis vor wenigen Jahrzehnten wurden ursprüngliche Hochmoorflächen in Deutschland systematisch entwässert und abgetorft. Mal wurde der Torf komplett abgebaut, mal die Schichten bis zu einer Tiefe von zweieinhalb Metern durch Pflügen mit dem darunter liegenden Sandboden vermischt. Seit dem in den 1970er Jahren begonnenen Umdenken sind alle naturnahen Hochmoore aus Natur- und Klimaschutzgründen geschützt. Torf wird seitdem ausschließlich auf bereits entwässerten, landwirtschaftlichen Flächen abgebaut.

VIELFALT Leben im Moor, Leben vom Moor, Leben mit dem Moor: Das Moor- und Fehnmuseum Elisabethfehn macht die Symbiose greifbar und bietet spannende Zeitreisen.

Weil nur lebende Moore Kohlen­dioxid speichern, ist geregelt, dass die Abbauflächen renaturiert und der landwirtschaftlichen Nutzung dauerhaft entzogen werden. „Nach der Wiedervernässung siedeln sich bald Torf­moose und Wollgräser an", erklärt Museumsleiterin Antje Hoffmann. „Bis zur Renaturierung braucht es Jahrzehnte, die Regeneration dauert Jahrhunderte." Weil die Umgebung nährstoffreicher ist als früher, gedeihen kleine Bäume und Sträucher. Sie würden zu viel Wasser entziehen und werden regelmäßig entfernt. Dieses „Entkusseln" erledigen Schafe hervorragend. Aber auch Menschen. Dann ist wieder Handarbeit angesagt im Moor.

Wie die Regeneration voranschreitet, lässt sich im Oldenburger Münsterland an vielen Stellen beobachten. Mit der Flora kommt auch die hochmoortypische Fauna zurück. Bei der Suche nach Sonnentau, Laufkäfer und Hochmoor-Bläuling verliert sich schnell der Blick in die Weite. Moor ist dann vor allem eines: eine klimafreundliche Ruheoase. Zeit, Anette von Droste-Hülshoff beiseitezulegen, und neue Geschichten übers Moor zu schreiben.

 

Mehr vom Moor