Sie heißen: Elisabeth Thölke und Alfons Völkerding, Ulrike bei der Hake-Tönjes und Elisabeth Tappehorn, Roswitha Krause und Ludger Thedering, Ilse Heidemann und Rita Müller, Norbert Tappe und Bernard Meyer, Petra Pekeler und Birgit Klöpper. Und sie haben auf den ersten Blick wenig bis gar nichts gemeinsam, außer dass sie alle aus dem Oldenburger Münsterland kommen. Und doch teilen sie ein großes Hobby, vielleicht sogar eine Leidenschaft: das Gästeführen.
Damit allerdings hört die Gemeinsamkeit auch schon wieder auf. Denn eine Führung zu den Kranich-Rastplätzen im Goldenstedter Moor hat wenig gemein mit der über das Gelände des ehemaligen Erzbergwerks in Damme. Und bei einem Gang durch das nächtliche Cloppenburg oder Vechta sind andere Kenntnisse und Talente vonnöten als bei einer Runde „durch die erwachende Natur" an der Thülsfelder Talsperre. Wie unterschiedlich Gästeführungen sein können, machen drei Beispiele deutlich.
Beispiel 1:
Seit 2005 führt Elisabeth Thölke Gäste durch „Klosterkirche, Konvent der Franziskaner und die Katakomben von Vechta". Die Führung gilt als touristischer „Dauerbrenner". Das Besondere dabei: Man kommt an Orte, die man sonst nicht zu Gesicht bekommen würde. Dazu gehört der Totenkeller der Franziskaner ¬– 120 bis 150 Mönche sind hier bestattet. Außerdem geht man durch einige Gänge der Justizvollzugsanstalt für Frauen und erhält aus erster Hand Informationen auch über den Gefängnis-Alltag.
Beispiel 2:
"Der Hauch des Hünengeistes" nennt sich eine Führung zu den eindrucksvollsten Großsteingräbern Norddeutschlands. Die Teilnehmer treffen sich bei Einbruch der Dunkelheit beim Landgasthof Engelmannsbäke in der Gemeinde Visbek, wählen zunächst ein Gericht aus einer thematisch angepassten Speisekarte und machen sich dann bei Fackelschein auf den Weg zu den Bestattungsanlagen der Jungsteinzeit, errichtet um 3500 bis 2800 vor Christus. Anders als bei anderen Führungen wird hier die Historie jedoch nicht nur in Zahlen und Fakten, sondern auch in Gedichtform dargebracht, rezitiert von Gästeführerin Ulrike bei der Hake-Tönjes. Ihre Kollegin Elisabeth Tappehorn hat dazu passendes Liedgut herausgesucht. Und am Ende gibt es eine warme Mahlzeit.
Beispiel 3:
„Wirtshausgeschichten" – so ist ein abendlicher Streifzug durch die Gastronomie-Szene von Vechta überschrieben. Dabei erfährt man nicht nur Wissenswertes über die Stadt und ihre Geschichte, sondern auch über das Bierbrauen im Allgemeinen und unsere Trinkkultur im Besonderen. Gut zwei Stunden, vier Kneipen und sieben Getränke später weiß man dann zum Beispiel, warum wir uns zuprosten. Oder wie dank einer List und einem guten Tropfen endlich auch für Vechta der Dreißigjährige Krieg beendet werden konnte. Inzwischen gibt es sogar „Kneipentouren für Singles", einmal für die über 35 Jahre mit Petra Pekeler, einmal für die unter 35 Jahre mit Tessa Wellen.
So unterschiedlich diese Beispiele auch sein mögen, bei denen die vielen Führungen zu Flora und Fauna noch gar nicht berücksichtigt sind – eines wird deutlich: Es geht um mehr als nur um reine Wissensvermittlung. „Die Gäste mit Zahlen, Daten, Fakten zuzutexten", in Fachkreisen kurz ZDF, das ist so ziemlich der größte Fehler, den ein Gästeführer begehen kann, sagt Natalie Geerlings. Die Kunsthistorikerin begleitet die Qualifizierung „Gästeführen mit Stern" der Ländlichen Erwachsenenbildung in Niedersachsen (LEB). Es ist also beileibe nicht damit getan, ein paar Jahreszahlen auswendig zu lernen oder Döntjes zum Besten zu geben. Ein Gästeführer braucht neben Fachwissen auch eine Vermittlungskompetenz. Und Methodenkenntnisse. Lauter Dinge, die man bei der LEB lernen kann (siehe Kasten). „Das kennen wir aus der Schule: Wie viel besser bleibt ein Lernstoff sitzen, wenn ich Dinge nicht nur höre". Wenn also zum Beispiel bei einer kulinarischen Tour auch der Gaumen gekitzelt wird. Oder wenn, wie im Industriemuseum in Lohne, der Besucher an Tabakproben schnuppern darf.
Und schließlich gibt es auch eine Reihe von persönlichen Voraussetzungen. „Nicht jeder Mensch hat das Talent, mit anderen Menschen umzugehen. Da sucht sich das Interesse an Geschichte besser andere Wege", sagt Geerlings. „Wichtig ist der Dialog mit dem Gast. Man darf keine Angst haben. Man muss gefestigt sein und Bescheid wissen. Aber dann macht es Spaß."
Das sagen vermutlich alle, die im Oldenburger Münsterland als Gästeführerin oder Gästeführer tätig sind: Es macht Spaß. Das Geld ist es jedenfalls nicht, der Lohn ist eher ein anderer: die Begegnung mit Menschen, die sinnvolle Aufgabe, das neue Arbeitsfeld. Er wollte nach 40jähriger Tätigkeit als Maurermeister einfach „noch mal ganz was anderes machen", sagt zum Beispiel Alfons Völkerding aus Mühlen. Er führt Besucher durch die erste Seefahrerschule des Oldenburger Landes, gegründet 1817, und das „mit Begeisterung" und auf Wunsch auch auf platt.
Gästeführungen haben Zukunft, ist Geerlings überzeugt. Konjunktur haben seit einigen Jahren vor allem Kostümführungen. „Die sind ein Magnet". Als Klassiker gilt hier der Rundgang mit dem Nachtwächter. Wahlweise kann man im Oldenburger Münsterland aber auch mit der „Hexe von Norddöllen" oder mit „Marthe und Fine" (siehe Interview) in Geschichte und Geschichten eintauchen. Und selbst wenn sich in Zukunft immer mehr Menschen von einer App auf ihrem Handy durch fremde Orte führen lassen, bleibt die „personenbezogene Gästeführung" für Geerlings konkurrenzlos. „Viele Touristen wollen Authentizität spüren und erleben. Das funktioniert nicht über Apps. Da bleiben Fragen offen."
Mehr Informationen zur Gästeführerschulung finden Sie hier: http://bit.ly/KompaktschulungGästeführer