Josef Stukenborg im Interview

Auszubildenden ein Stück Lebenshilfe bieten

21.06.2021

Die Fakten klingen fatal: In Deutschland wird fast jeder fünfte Lehrvertrag vorzeitig aufgelöst, oft schon im ersten Jahr. Dabei braucht es dringend junge Menschen, die an ihrer Ausbildung festhalten, um sich langfristig mit ihrer Expertise in der Wirtschaft einzubringen – eben Fachkräfte von morgen. Dabei helfen soll VerA.

Das Angebot, eine Maßnahme aus der Initiative Bildungsketten des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), vermittelt Jugendlichen in der Ausbildung bei Bedarf Begleitung durch einen Seniorenexperten und setzt ganz auf ehrenamtliche Unterstützer. Sie tragen dazu bei, einen Ausbildungsabbruch zu verhindern.

Josef Stukenborg kümmert sich als Regionalkoordinator seit Ende 2015 um die Gesamtregion Oldenburg, dabei insbesondere um die Landkreise Vechta, Cloppenburg, Oldenburg und Delmenhorst. Im Interview erzählt er, worum es ihm und anderen Ehrenamtlichen bei ihrem Engagement geht, wie sich VerA konkret gestaltet und was es bereits bewirkt hat.

Bild rechts: Josef Stukenborg Regionalkoordinator der Initiative VerA

Frage: Herr Stukenborg, was war Ihr Beweggrund, sich bei VerA zu engagieren?

Josef Stukenborg: Ich war viele Jahre in der Luft- und Raumfahrtindustrie tätig, zuletzt als Geschäftsführer Personal und Arbeitsdirektor. Mit dem Thema Ausbildung habe ich also von Berufswegen immer schon zu tun gehabt. Vor fünf Jahren bin ich in den Ruhestand gegangen und habe in dieser Zeit vom Arbeitgeberverband ein Rundschreiben zu VerA gesehen. Auf den Aufruf hin habe ich mich gemeldet, denn ich sehe die Fachkräftesicherung als essenziell an. Jede Ausbildung die abgebrochen wird, ist in meinen Augen eine zu viel.

„Der Auszubildende muss es wollen"

Frage: Worum geht es genau bei diesem Angebot?

Stukenborg: Vor allem darum, Ausbildungsabbrüche zu verhindern. Haben Auszubildende Probleme – sei es im Betrieb, in der Schule oder auch privater Natur, etwa im Freundeskreis oder in der Partnerschaft – kann VerA helfen. Das Prinzip lautet Hilfe zur Selbsthilfe. Dabei geht es keinesfalls um klassische Nachhilfe. Vielmehr bietet das Projekt Mentoring oder auch Coaching. Ein Stück Lebenshilfe sozusagen. Ganz wichtig: Der Auszubildende muss es wollen! Und es muss ein Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Seniorexperten bestehen. Die Chemie muss stimmen, wie man so schön sagt. Für den Auszubildenden entstehen keine Kosten und die Begleitung kann maximal bis zum Ende der Ausbildung erfolgen.

Frage: Wie finden sie denn zueinander?

Stukenborg: Die Auszubildenden sollen sich eigeninitiativ melden. Allerdings ist die Hemmschwelle sehr groß, von sich aus aktiv zu werden – es bedarf eines Anstoßes. Er kommt von der Berufsschule, Betrieben, den Kammern oder Sozialarbeitern in den Kommunen, aber auch von Freunden oder Auszubildenden, die selbst bei VerA mitgemacht haben. Sie werden quasi zu Multiplikatoren. Die Informationen liegen in Form von Flyern vor, finden sich aber auch online.

Wenn sich ein Interessierter bei VerA meldet, vermittle ich ihm einen Seniorenexperten, der möglichst nicht zu weit weg wohnt und zuvor ein zweitägiges Einführungsseminar besucht hat. Dann gibt es ein Kennenlerntreffen, nach dem beide entscheiden, ob es zwischenmenschlich passt. Wenn ja, regeln sie alles Weitere allein. Wann, wie oft und wo sie sich treffen, ist ihnen freigestellt. Seniorenexperten haben also viel Gestaltungsspielraum, Auszubildende wiederum viel Sicherheit, weil die Gespräche vertraulich behandelt werden.

Die Motivation? Jugendlichen helfen zu können

Frage: Welche Senioren melden sich bei Ihnen?

Stukenborg: Das ist ganz unterschiedlich: Es sind Männer wie Frauen. Und sie kommen aus total verschiedenen Berufen. Es engagieren sich sowohl Krankenschwestern und Maurermeister als auch Lehrer, Ingenieurinnen oder Geschäftsführer.

Frage: Und was bewegt sie mitzumachen, statt sich im Ruhestand eigenen Interessen zu widmen?

Stukenborg: Jugendliche zu unterstützen, damit sie erfolgreich sind – das ist tatsächlich der Hauptbeweggrund. Und die Erfahrung aus der Begleitung zeigt, dass nicht nur der Auszubildende etwas von dieser Form des Austauschs hat, weil er im besten Fall die Prüfung erfolgreich besteht. Auch die Senioren lernen viel dazu. Sie setzen sich etwa mit interkulturellen Themen auseinander, etwa wenn sie Auszubildende mit Migrationshintergrund begleiten – ihr Anteil liegt übrigens bei ca. 70 Prozent. Die Rückmeldungen sind also von beiden Seiten sehr positiv!

Die Erfolgsquote liegt bei 80 Prozent

Frage: Und falls es einmal nicht so gut läuft?

Stukenborg: Es kommt zwar vor, dass die Begleitung abgebrochen wird, zum Beispiel wenn der Auszubildende Termine nicht wahrgenommen hat. Zwei Mal im Jahr gibt es ein Treffen der Gesamtregion, um derartige Erfahrungen austauschen zu können. Im Oldenburger Münsterland bieten wir diese Gelegenheit monatlich an. Das grenzt schon fast an Supervision und ist somit ein sehr wertvolles Instrument. Insgesamt ist die Erfolgsquote mit bundesweit 80 Prozent aber hoch.

Frage: Vor nicht allzu langer Zeit hat sich Silvia Breher über das Projekt informiert.

Stukenborg: Richtig. VerA ist bekannt, aber noch nicht bekannt genug. Insofern ist es für uns wichtig, dass Informationen über das Projekt in die Öffentlichkeit getragen werden. Frau Breher hat einen Betrieb in Essen (Oldenburg) besucht und vor Ort zwei Auszubildende und Senioren getroffen, die über ihre Erfahrungen berichtet haben. Dabei wurden Themen angesprochen, die den politischen Handlungsbedarf erkennen lassen konnten. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Die Prüfung bei Industrie- und Handelskammer und Handwerkskammer ist so formuliert, dass sie selbst für Auszubildende mit Deutsch als Muttersprache zum Teil nur schwer verständlich ist. Zudem sind bestimmte Flüchtlinge, die eine Ausbildungsduldung haben, von sogenannten ausbildungsbegleitenden Hilfen ausgeschlossen, obwohl insbesondere sie davon profitieren würden. Das sollte man überdenken!

Eine Bereicherung für beide Seiten

Frage: Wie ist derzeit die Lage – brauchen Sie noch Engagierte?

Stukenborg: Man sieht am Verhältnis von derzeit 35 Seniorenexperten zu 50 begleiteten Auszubildenden in Oldenburger Münsterland, dass wir händeringend auf der Suche nach weiteren Ehrenamtlichen sind. Deswegen möchte ich auf diesem Wege noch einmal betonen: Freiwilliges Engagement bei VerA lohnt sich – es ist eine Bereicherung für beide Seiten!

Weiterführende Informationen finden sich unter: https://vera.ses-bonn.de.