Die Corona-Pandemie bedeutet auch für das Oldenburger Münsterland eine Zäsur. Was glauben Sie, wie wirkt sich die aktuelle Krise auf den finanziellen Gestaltungsspielraum der Landkreise und Kommunen aus?
Winkel: Das lässt sich derzeit noch nicht sicher abschätzen. Deshalb sind die Haushaltsplanungen derzeit auch mit vielen Unsicherheiten verbunden. Bei der Kreisumlage, unserer wichtigsten Einnahmequelle, sind noch keine Einbrüche zu verzeichnen. Unsere Kommunen haben zum Teil hohe Ausgleichszahlungen für Gewerbesteuerausfälle im Zuge der Pandemie erhalten. In diesem Jahr profitieren wir noch von einer höheren Dividende der EWE und durch die höhere Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unterkunft nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch. Aufgrund unserer regional starken Wirtschaft haben wir vergleichsweise stabile öffentliche Finanzen. Das ist aber keine Garantie dafür, dass wir in den kommenden Jahren auf demselben Niveau weiter investieren können, wie wir es gewohnt waren.
Wimberg: Vor allem die Gewerbesteuereinnahmen sind bei vielen unserer Städte und Gemeinden bereits spürbar gesunken. Darauf hat der Kreistag reagiert, indem die Kreisumlage, aus der sich der Landkreis hauptsächlich finanziert, ein weiteres Mal gesenkt wurde. Damit sollen die Städte und Gemeinden erneut entlastet werden. Der Landkreis Cloppenburg gehört mit Vechta zu den drei Landkreisen in Niedersachsen mit der niedrigsten Kreisumlage überhaupt. Auch die Kreisverwaltung wird ihre Ausgaben für das kommende Jahr auf den Prüfstand stellen müssen.
Stichwort Wirtschaftsförderung: Wie kann den Unternehmen vor Ort geholfen werden?
Winkel: Der Landkreis Vechta hat kein eigenes Hilfsprogramm aufgelegt. Eine Ausnahme ist der Schutzschirm für die Betriebe der Schülerbeförderung, also Bus- und Taxiunternehmen. Soweit ich von meinen Kollegen aus dem Oldenburger Land weiß, hat die große Mehrheit der Landkreise und kreisfreien Städte das genauso gehandhabt. Damit sollten auch Doppelstrukturen in der Förderung vermieden werden. Unsere Wirtschaftsförderung hat die Unternehmen vor Ort vor allem durch Beratung und Informationen zu den Förder- und Hilfsprogrammen unterstützt – und das sehr intensiv. Dass es erheblichen Bedarf gab, kann ich an einigen Zahlen deutlich machen: Bis Anfang August sind alleine im Landkreis Vechta 2.227 Anträge auf Corona-Soforthilfen mit einem Volumen von 15,8 Millionen Euro bewilligt worden.
Wimberg: Mittlerweile haben Bund und Land umfangreiche Hilfsprogramme für fast alle betroffenen Zielgruppen aufgelegt. Der Landkreis Cloppenburg führt seit Beginn der Pandemie eine laufend aktualisierte Übersicht auf seiner Homepage, um Unternehmer schnell und übersichtlich über Hilfsmöglichkeiten zu informieren. Unsere Wirtschaftsförderung steht darüber hinaus den Unternehmen stets als Ansprechpartner zur Verfügung.
In der Vergangenheit wurde häufig von der „Unternehmer-DNA" im Oldenburger Münsterland gesprochen. Kann sie jetzt bei der Krisenbewältigung helfen?
Winkel: Diese Mischung aus Mut, Pioniergeist, Erfindungsreichtum und Pragmatismus ist es, die in aktuellen Krisen wie der heutigen gefragt ist. Was uns in der Krise sicherlich auch hilft, ist die relativ gute Eigenkapitalquote vieler Firmen und die Tatsache, dass wir viele familien- und inhabergeführte Unternehmen haben. Das führt aus meiner Sicht zu einem ganz anderen Umgang mit Krisen, auch hinsichtlich des Umgangs mit der eigenen Belegschaft.
Wimberg: Während in manch anderen Regionen Probleme diskutiert werden, sucht man hier schnell nach Lösungen und die Unternehmer krempeln die Ärmel hoch. Diesen zupackenden Geist kann man auch seit der Pandemie in vielen Betrieben beobachten. Schnell wurden bei vielen Firmen neue Nischen gesucht und gefunden, um neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln. Die OM-DNA zeigt sich auch darin, dass die mittelständischen Betriebe so lange wie möglich zu ihren Mitarbeitern stehen und diese nicht sofort entlassen.
"Während in manch anderen Regionen Probleme diskutiert werden, sucht man hier schnell nach Lösungen und die Unternehmer krempeln die Ärmel hoch."
Johann Wimberg
Die Gesundheitsämter führten in der Vergangenheit fast ein Schattendasein, aktuell sind sie aber die Hauptakteure im Kampf gegen die Pandemie. Wie muss das Gesundheitsmanagement in Zukunft aufgestellt sein?
Wimberg: Möglicherweise hat man die Gesundheitsämter nicht so wahrgenommen wie in der jetzigen Pandemie, aber ein Schattendasein haben sie nie geführt. Sie waren auch in der Zeit vor Corona ein wesentliches Standbein des Infektionsschutzes und der Gesundheitsvorsorge. Von der Schuleingangsuntersuchung bis zum Umgang mit Tuberkulose waren die Fachleute aus dem Gesundheitsamt stets präsent und in der öffentlichen Wahrnehmung vorhanden. Neben dem Gesundheitsamt sind auch viele weitere Ämter mit der Bekämpfung der Pandemie beschäftigt und unterstützten das Gesundheitsamt personell. Es mangelt allerdings an einer einheitlichen und verlässlichen Software sowie an einer Vernetzung aller Gesundheitsämter in Deutschland. Alle müssten verlässlich mit den gleichen hoch leistungsfähigen Programmen und Standards arbeiten. Darüber hinaus darf der Datenschutz nicht zum Hemmschuh werden.
Winkel: Was unsere Kolleginnen und Kollegen seit Beginn der Pandemie unter schwierigen Bedingungen leisten, ist enorm. Dafür bin ich sehr dankbar. Für das Gesundheitsmanagement der Zukunft haben Bund und Länder mit dem „Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst" wichtige Weichen gestellt. So sollen die Ämter im Wettbewerb mit anderen ärztlichen Arbeitgebern wettbewerbsfähiger werden, mehr Stellen geschaffen und ein einheitliches Deutsches Elektronisches Melde- und Informationssystem für den Infektionsschutz (DEMIS) eingeführt werden. Auch als Kreisverwaltung haben wir einiges in Bewegung gesetzt. Im Mai hat der Kreisausschuss den Weg für bis zu 15 weitere Stellen im Gesundheitsamt freigemacht, die für die Pandemie-Bekämpfung eingesetzt werden. Die Aufstockung ist zwar zunächst auf zwei Jahre befristet, zeigt aber, dass wir hier bei Bedarf personell reagieren können.
Die Tourismus- und Freizeitbranche leidet stark unter den Beschränkungen. Auf der anderen Seite gewinnt der Urlaub oder die Freizeitgestaltung vor der eigenen Haustür an Bedeutung. Gibt es dazu im Rahmen der Standortförderung neue Konzepte und Initiativen?
Wimberg: Die fünf Erholungsgebiete im OM entwickeln gerade mit unserem Verbund OM neue Ideen. Außerdem ist eine neue Radwanderkarte OM und ein begleitendes Tourenbuch für den Landkreis Cloppenburg fertig gestellt worden, damit die Region noch besser erfahrbar wird. Die Erholungsgebiete weisen wie der Verbund auch vielfach in den sozialen Medien auf besonders attraktive Ziele und Touren hin.
Winkel: Dass das Oldenburger Münsterland immer häufiger als Reisedestination angesteuert wird, beweist, dass sich die Marketingstrategie des Verbundes auszahlt. Vor allem der Radtourismus wird hervorragend vermarktet. Auch viele Einheimische haben während der Reisebeschränkungen das Oldenburger Münsterland als Erholungsort ganz neu kennen- und schätzen gelernt.
Ein Blick in die Glaskugel: Das Oldenburger Münsterland im Jahr 2050. Welche Vision im Sinne einer festen Vorstellung von der Zukunft haben Sie für unseren Wirtschaftsstandort?
Winkel: Für mich müssen 2050 vor allem drei Dinge erfüllt sein. Erstens: Wir müssen in puncto digitale Infrastruktur voll leistungs- und wettbewerbsfähig sein und uns als ländliche Region infrastrukturell mit urbanen Zentren und Metropolen messen lassen. Nur so bleiben wir als Standort attraktiv. Zweitens: Wir müssen die Transformation der Agrar- und Ernährungsbranche gemeistert haben. Das heißt, dass unsere Betriebe ihr Produktportfolio auf die Lebensmittel eingestellt haben, die in drei Jahrzehnten in den Einkaufswagen unserer Kinder und Enkelkinder liegen. Drittens: Uns ist es im OM gelungen, eine lebendige Start-Up-Szene zu entwickeln. Das mag zunächst befremdlich klingen, weil mit diesem Schlagwort eher Berlin, Hamburg oder Leipzig in Verbindung gebracht werden. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass gerade aus der ländlichen Perspektive heraus interessante Geschäftsideen entstehen können.
Wimberg: Es ist immer wichtig, für Veränderungen offen zu sein und Innovationen jeglicher Art zu fördern, denn man weiß nie, welche sich langfristig durchsetzen werden. Daher müssen wir weiter mutig und zupackend voran gehen. Das betrifft vor allem die Bereiche Digitalisierung und Wirtschaft 4.0. Um auf dem neuesten Stand zu bleiben, werden wir als Kreisverwaltung auch weiter den offenen Dialog mit der Wirtschaft pflegen. Dieser Dialog ist wichtig, um der Wirtschaft das geben zu können, was sie zu einem gesunden Wachstum braucht. Damit uns nicht die zum Wachstum nötigen Fachkräfte ausgehen, müssen beide Landkreise gemeinsam ihre Stärken bündeln und so um Fachkräfte werben. Wir folgen dabei der regionalen Handlungsstrategie Weser-Ems sowie der Handlungsstrategie der Metropolregion Nordwest. Es werden Masterpläne in Bioökonomie, Energie, Maritimes und Daseinsvorsorge überregional koordiniert. Dazu wird der Markenstrategie für das Oldenburger Münsterland und dem regionalen Raumordnungsprogramm gefolgt. Es wird an einer langfristigen Strategie in Sachen Klimaschutz, Bildung, Wissenschaft und Mobilität im Landkreis in Absprache mit unseren Städten und Gemeinden gearbeitet.
Eine große Herausforderung der Region bleibt die Transformation der Agrar- und Ernährungsbranche mit den vor- und nachgelagerten Bereichen. Wie kann das in Ihren Augen bestmöglich gelingen?
Winkel: Ich bin fest davon überzeugt, dass die Tierzahlen im OM in Zukunft zurückgehen werden. Gleichzeitig wird die Digitalisierung zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor. Die Stichworte lauten hier „Lebensmittelproduktion 4.0" oder „Smart Farming". Hier muss die Agrar- und Ernährungsbranche vor Ort Pionier sein und den OM-typischen Erfindergeist ins Digitale übersetzen. Deswegen freue ich mich, dass das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur das Konzept „5G Nachhaltige Agrarwirtschaft" fördern will, das von der Uni Vechta und unserer Wirtschaftsförderung ausgearbeitet wurde. Wir werden im Landkreis Vechta ein Reallabor einrichten, um zu erforschen, wie sich mittels neuester Mobilfunktechnologie und künstlicher Intelligenz die Lebensmittelproduktion nachvollziehbarer, nachhaltiger und sicherer machen lässt. Dabei geht es auch um Fragen des Tierwohls und der Tiergesundheit. Getestet wird dies an den Wertschöpfungsketten im Geflügel und Schweinesektor. Durch in Echtzeit übermittelte Daten soll so beispielsweise der Antibiotikaeinsatz gesenkt und das Nährstoffmanagement verbessert werden.
Wimberg: Damit der Wandel gelingt, müssen die Probleme definiert, eine Folgenabschätzung betrieben und Lösungen erarbeitet werden. Diese müssen dann mit allenrelevanten Akteuren abgestimmt und die Ziele langfristig verfolgt werden. Natürlich muss bei solchen Transformationen die Nachhaltigkeit im Blick behalten werden: Ökonomie, Ökologie und Soziales genießen aus unserer Sicht eine gleichwertige Priorität. Unsere Leitidee hierbei ist, intelligentes Wachstum zu ermöglichen, nachhaltig zu planen bedeutet hier auch Qualität vor Quantität.
Branchenwechsel: Wie beurteilen Sie die Chancen und Risiken mit Blick auf unser Cluster in der Kunststoffindustrie?
Winkel: Die Kunststoffindustrie spielt gerade im Landkreis Vechta für Wertschöpfung und Beschäftigung eine große Rolle. Ähnlich wie in den Bereichen Agrar und Ernährung ist auch die Kunststoffindustrie im Umbruch, weil die Bedeutung von geschlossenen Materialkreisläufen und Recycling weiter zunimmt. Darauf stellen sich unsere Firmen bereits ein. Pöppelmann in Lohne hat beispielsweise schon längst komplett recycelbare Pflanztöpfe im Angebot. Für recycelte Kunststoffe müssen die gesetzlichen Rahmenbedingungen unbedingt angepasst werden. Ich denke hier vor allem an die Lebensmittelzulassung. Wenn wir auch hier frühzeitig auf die sich ändernden Rahmenbedingungen in Gesellschaft, Markt und Politik reagieren, sehe ich eine gute Zukunft für das Cluster Kunststoffindustrie.
Wimberg: Dies ist ein Bereich, der bestimmt auch auf große Veränderungen eingestellt sein muss, gerade im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Fragen der Wiederverwertung von Produkten. Doch unsere Unternehmen zeichnen sich ja gerade dadurch aus, dass sie solche Herausforderungen nicht beklagen, sondern annehmen.
Und wie geht es bei den Automobilzulieferern in der Region weiter?
Winkel: Die Automobilzulieferer im Landkreis sind direkt abhängig von den Marktentwicklungen der großen Automobilhersteller. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass internationale Lieferketten viel fragiler sind als bisher angenommen. Darin könnte durchaus eine Chance für die Unternehmer in Deutschland und damit auch im Oldenburger Münsterland liegen.
Wimberg: Die Kernfrage lautet hier: Wie bleiben wir mit unseren Produkten in der Lieferkette, wenn die Automobilindustrie weiter vom Verbrennungsmotor auf Elektro oder Hybrid umstellt? Die Zulieferer werden sich auf die neuen Entwicklungen umstellen müssen.
Start-Ups und Neugründungen: In den größeren Städten im Umland wie Osnabrück oder Oldenburg entstehen oder existieren verschiedenartige Zentren für Gründer. Warum gibt es keine vergleichbaren Einrichtungen im Oldenburger Münsterland?
Winkel: Gründungsberatung findet im Oldenburger Münsterland bereits statt, auch über die Landkreise. Unsere Wirtschaftsförderung hat im letzten Jahr immerhin 16 Existenzgründer und Firmennachfolger mit 340.000 Euro gefördert. Daraus sind 86 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstanden. Außerdem haben diese Firmen rund 3,6 Millionen Euro im Landkreis investiert. Dennoch müssen wir hier mehr machen, da sind Johann Wimberg und ich uns einig. Unser Ziel ist, eine OM-weite Gründungslandschaft unter einem institutionellen Dach zu schaffen. Im Landkreis Vechta ist neben der Stadt Vechta auch die Universität Vechta bei der Entwicklung dieses Konzeptes im Boot. An der Uni haben wir mit dem EXIST-Programm schon sehr gute Strukturen. Die Stadt Vechta hat in der Geschwister-Scholl-Oberschule bereits Platz für Büro- und Besprechungsräume, Coworking Spaces und Veranstaltungen zur Verfügung gestellt, die noch saniert werden. Hier wird das Thema Start-Up-Förderung also bereits ganz konkret.
Wimberg: Bei uns liegt die Gründungsintensität auf den vorderen Plätzen in Niedersachsen. Dazu existiert ein gutes Netzwerk in der Gründerförderung. Es gibt diverse Anlaufstellen und räumliche Angebote, wie beispielsweise das Gründerbüro der Kreisstadt Cloppenburg.